von Vivienne – November 2004
Edward mit den Scherenhänden
Im Grunde bin ich ein wahnsinnig romantischer Mensch. Und ich liebe Filmmärchen, nicht nur aus animierten Zeichnungen sondern im Besonderen auch mit menschlichen Darstellern. Auf Happy Ends lege ich dabei nicht einmal so viel Wert, sondern viel mehr auf Gefühl, Stimmung und Aussage. Und eine Riege exzellenter Schauspieler, die mich bisweilen zu Tränen rührt wie in Edward mit den Scherenhänden
Die Kosmetikberaterin Peg (Oscarpreisträgerin Dianne Wiest) stößt auf der Suche nach neuer Kundschaft eines Tages auf ein altes Schloss. Es scheint unbewohnt zu sein, doch die resolute Peg entdeckt schließlich doch den einzigen Schlossbewohner: Edward (Johnny Depp), eine menschenähnliche Maschine, der im erstem Moment etwas furchterregend wirkt. Der eigentliche Hausherr, ein Erfinder von verschiedenen, unglaublichen Dingen (Vincent Price in seiner letzten Rolle), starb, bevor er sein Werk vollenden konnte. Deshalb blieb Edward allein zurück, mit Scheren ausgestattet statt mit Händen.
Peg beschließt sofort, ihn in ihre grellbunte Reihenhaussiedlung mitzunehmen, in der sie mit ihrer Familie lebt. Schon bald erkennt sie, dass sie den naiven und weltfremden, ja im wahrsten Sinn des Wortes unschuldigen Edward vor der Neugierde der Nachbarn schützen muss. Doch unerwartet avanciert: Edward zum Star der Reihenhaussiedlung. Denn nicht nur, dass er aus Hecken die faszinierendsten Figuren zaubern kann. Mit seinen Scherenhänden ist er auch in der Lage, den Damen der Umgebung ausgefallene bis ausgeflippte Frisuren zu zaubern. Die Begeisterung kennt keine Grenzen. Pläne für eine Friseurkarriere Edwards werden eifrig geschmiedet.
Ungeahnt schnell wechselt allerdings die allgemeine Begeisterung ins totale Gegenteil. Edward lässt sich naiv wie ahnungslos vom Freund von Pegs Tochter Kim zu einem Einbruch verführen. Edward, der sich seiner Schuld nicht bewusst ist, kann mit seinen Scheren nämlich auch jedes Schloss problemlos öffnen. Als die Polizei kommt, bleibt er als einziger am Tatort zurück und sieht sich plötzlich dem Hass und der Ablehnung der Bewohner ausgesetzt. Einzig Peg und ihre Tochter Kim, in die sich Edward verliebt hat, halten noch zu ihm. Alles scheint sich auf bizarre Weise gegen Edward zu verschwören. Selbst als er Kims Bruder das Leben rettet, wird ihm daraus ein Strick gedreht.
Edward liebt Kim und Kim liebt Edward, aber ihre Liebe ist hoffnungslos. Ihnen bleiben nur ein paar Momente und die Gewissheit der gegenseitigen Gefühle. Als Edward schließlich in Notwehr Kims Exfreund, der in Mordabsicht kam und im Grunde die Schuld an der Eskalation der Situation trägt, in Notwehr tötet, erzählt Kim den aufgebrachten Leuten, dass Edward tot wäre. Ihre Liebe zu Edward überdauert ein ganzes Leben, und solange es schneit weiß sie, dass Edward lebt, denn er ist es, der den Schnee erzeugt, weil er aus den Eisblöcken Figuren formt
Ein hinreißendes Märchen, romantisch und zu Tränen rührend, und doch viel mehr. Die typische Situation des Außenseiters wird hier von Regisseur tim Burton umrissen, eines Außenseiters, der ohne eigene Schuld zum Gejagten, zum Gehetzten wird und letztlich sein Dasein ohne die Gesellschaft fristen muss. Unverstanden und vorurteilsbehaftet wird ihm von den Leuten letztlich alles, was er tut, negativ ausgelegt. Eine Metapher für die Falschheit und Verlogenheit der Gesellschaft, die dich hoch leben lässt, solange du in ihren Grenzen funktionierst und dich ebenso so schnell fallen lässt, wenn du gegen ein (ungeschriebenes Gesetz) verstößt.
Die Rollen wurden von Tim Burton exzellent und mit Gespür besetzt, angefangen mit Dianne Wiest, die in der Rolle der Peg brilliert. Wynona Ryder gibt eine hinreißende Kim, in die sich Edward rettungslos verliebt, verlieben muss. Bleibt zuletzt Edward selbst, Mädchenschwarm Johnny Depp mit seinen symbolischen, zweischneidigen Scheren, der mit seinem unglaublich traurigen Blick Edward so unendlich rührend unschuldig wie unwiderstehlich rüberbringt. Er und Wynona Ryder sind ein tragisches wie berührendes Paar, die Liebe und Gefühle auf eine andere Ebene transponieren
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