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19.09.2005, © Vivienne
Die Wahlen in Deutschland
Zur Ausgangssituation: Qual der Wahl in Deutschland. So viel Unentschlossene wie nie in der Wählerschaft, um die die Parteien fast bis zuletzt verzweifelt rangen. Angela Merkel, die etwas kalt wirkende Kanzlerkandidatin der Union, gegen den vitalen Gerd Schröder, der mit seiner rot-grünen Koalition die letzten sieben Jahre regiert hatte. Nicht sehr glücklich, die Zahl der Arbeitslosen war trotz aller Bemühungen explodiert. Hartz VI trieb viele in die totale Abhängigkeit und ins finanzielle Desaster. Zahllose oft historische Wahlniederlagen in den Bundesländern, auch in eingesessenen SPD-Hochburgen, kennzeichneten die letzen Jahre. Im Gegensatz dazu die strenge Angela Merkel, in der Union selber nicht unumstritten, die keinen Zweifel ließ, dass sie den Gürtel noch enger schnallen wollte. Und dazu die deftigen Wortspenden des bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der an den Ossis kein gutes Haar ließ
Schon deshalb wurde der Ausgang der Wahl nicht nur in Deutschland mit höchster Spannung erwartet. Und das Ergebnis, das sich nach den ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF mehr und mehr bestätigt, straft alle vorherigen Überlegungen Lügen. Die Union ist zwar stärkste Fraktion geworden, musste aber selber unerwartet Federn lassen, und das nicht zu knapp. Von einem Stimmenanteil über 40 % ist man bei den Konservativen meilenweit entfernt! Wacker hingegen die SPD, geführt von Vollblutpolitiker Schröder: er warf alles und vor allem sich selbst in die Bresche, konnte den allgemeinen Trend zwar nicht umkehren aber den Verlust wenigstens in Grenzen halten. Kanzler wird er nun eher nicht bleiben, so weit sich das heute einschätzen lässt, da neben der großen Koalition, die erwartet wird, nur noch eine Ampelkoalition mit den Grünen und der überraschend starken FDP möglich scheint. Und von der sollte man zum jetzigen Zeitpunkt nicht unbedingt ausgehen.
Die sehr erfolgreiche Linkspartei von Gregor Gysi und Oscar Lafontaine konnte die Grünen nach dem bisherigen Stand der Auszählungen sogar leicht überflügeln. Die beiden Herren dürfen sich mit Recht auf die Schulter klopfen, von einer Regierungsbeteiligung können sie aber trotzdem nur träumen. Eine enttäuschte Angela Merkel schloss bei ihrem ersten Auftritt dezidiert Koalitionsverhandlungen mit dieser Partei aus. Und über das Verhältnis von Gerd Schröder und Oscar Lafontaine muss ich wohl niemandem im Detail erzählen. Merkel steht jetzt selber intern unter schwerem Beschuss, sie gilt nach den Einschätzungen einiger Wahlbeobachter als die wahre Verliererin der Wahlen, und ist nun in ihrer Position noch mehr angreifbar. Dafür darf sich der vermeintliche Koalitionspartner FDP umso mehr freuen, der seine Stimmenzahl fast verdoppeln, ähnlich wie die Linkspartei auf Kosten der beiden Großen deutlich zulegen konnte.
Etwas enttäuschend für mich die Grünen, die zwar nur unmerklich verloren haben, aber im internen Ranking der Parteien nur mehr die Position 5 einnehmen. Nicht Schwarz-Gelb, nicht Rot-Grün die meist gehandelsten Koalitionsformen sind nach diesem Wahlergebnis dezidiert ausgeschlossen, nicht mehr realisierbar. Politiker gleich welcher Couleur erklären sich zu Wahlsiegern, weil der Gegner auch die Nase nicht vorn hat. Das hat für mich ein wenig vom Streit in der Sandkiste an sich, aber in der Politik steht solches an der Tagesordnung. Am Wahlergebnis dürfte sich im Gegensatz zur letzten Wahl im Herbst 2002 – nicht mehr wesentlich etwas ändern, da schon jetzt nur mehr die Prozentpunkte hinter dem Koma leicht variieren. Deutschland steht vor einer völlig neuen Situation und vielleicht ist wirklich eine große Koalition die einzige Möglichkeit, eine neue Chance, auf breiter Basis die im wahrsten Sinne des Wortes brennenden Probleme bei unserem Nachbarn anzugehen. Das gemeinsame Ziel über all das Trennende zu stellen.
Lassen wir uns überraschen!
Vivienne
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