Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich wach. In meinem Innersten lief noch immer der Film vom vergangenen Abend ab, jedes Detail…. Albert war vor mir gestanden, er hatte ein merkwürdiges Lächeln aufgesetzt. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, das hatte ich mir schon in den letzten Tagen gedacht. “Ich muss dir etwas sagen, Vivi…“ Ali räusperte sich, er schien nach Worten zu ringen. „Es wird Zeit…“ Ich erstarrte. Mein Gott, er hat eine andere! ging mir durch den Kopf. Ich konnte nicht mehr klar denken. Die neue Kollegin in der Firma, diese Blondine… Lisa hieß sie… War sie Alis Geliebte? Wie lange waren wir jetzt beisammen? Ich versuchte mich zu konzentrieren, aber eine Stimme in mir sagte ganz laut: Du bist ihm zu alt geworden…
„Es gibt da jemanden…“ sagte Ali. Er konnte mich nicht ansehen… Es ist wahr! Der verdrängte Albtraum, er war Realität geworden. Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht. Ich versuchte mich zu setzen, rang nach Luft, da dieses Geräusch… Und schließlich dieser komische Laut. Was war das? Ich erschrak als ich etwas an meinen Beinen spürte. Und dann hörte ich ganz deutlich „Miau!“
Richtig. Ali hatte junge eine Katze mitgebracht, Mia. Und er hatte die Situation perfekt inszeniert, das musste man ihm lassen. Noch eine halbe Stunde später konnte sich Ali vor Lachen fast nicht erfangen… „Dein Gesicht, Vivi! Hätte ich je Zweifel daran gehabt, dass du mich liebst, in diesem Augenblick wäre mir unmissverständlich klar geworden wie sehr du an mir hängst. Nie hätte ich gedacht, dass du mir diese Geschichte abnimmst…!“ Die kleine Mia lag auf meinem Schoß und schnurrte laut. Eine hübsche Katze, rot getigert und weiß, vielleicht ein Jahr alt. Sie wusste genau, dass es galt mich zu erobern und es war ihr mühelos gelungen…
Gerne hätte ich im ersten Moment meinem Mann die Ohren lang gezogen! Mich so an der Nase herumzuführen! Ich gähnte und streichelte Mia, die zwischen Ali und mir im Bett lag, so selbstverständlich, als hätte sie immer schon ihren Platz hier gehabt. Ali schnarchte leise und Mia rieb ihren Kopf an meiner Hand. Ali war schon ein Komiker! Ein anderer Mann hätte einfach mit mir geredet wegen der Katze, aber er musste das Ganze wieder filmreif inszenieren… Er hatte da entschieden verborgene Talente, die immer wieder aufblitzten. Mia schnurrte immer lauter und leckte an meiner Hand. Sie mochte mich wirklich, keine Frage… – meine Nebenbuhlerin!
Vor ein paar Tagen erst hatte mir Ali berichtet, dass die Nachbarin mit rotverweinten Augen erzählt hatte, dass ihre Mutter verstorben war. Schlimm, ein Herzinfarkt nach dem Mittagessen, mit fast 80 Jahren… Ein schwerer Verlust, ich konnte es ihr nachfühlen, meine Mutter war auch noch nicht viel länger als ein Jahr tot… Neben dem Verlust gab es nun natürlich eine Menge zu regeln und ein Begräbnis zu organisieren. „Die Mutter hatte erst im Herbst ein kleines Kätzchen aufgenommen, das muss jetzt wohl ins Tierheim…“ hatte Ali seine Geschichte beendet. Mir krampfte das Herz zusammen. Die arme Katze! „Was wohl aus ihr werden wird?“
Keine Ahnung hatte ich allerdings, dass sich Ali vorgenommen hatte, der jungen Katze das Tierheim zu ersparen. Heimlich hatte er mit der Nachbarin abgemacht, dass er Freitagnachmittag nach der Arbeit mit ihr die Katze abholen und sie zu uns in die Wohnung holen würde. Tatsächlich war mir aufgefallen, dass mein Mann sich auf einmal etwas seltsam verhalten hatte. Dass er heimlich telefonierte und plötzlich das Gespräch beendete, wenn er mich bemerkt hatte. Und ich hatte tatsächlich an eine Rivalin gedacht, eine andere Frau – nie hätte ich angenommen, dass die vierbeinig war… Nie!
Ich schlief wieder ein. Als ich morgens wach wurde, lag Mia auf meinem Bauch eingerollt… Alis munteres Pfeifen drang aus der Küche und Radiomusik verbreitete zusätzlich gute Laune. Ich musste lächeln. Ali hatte tatsächlich schon ein Kistchen und Katzenstreu organisiert, dazu ein paar Futterschüsseln und feines Futter. „Wir müssen jetzt feststellen, was ihr am besten schmeckt und das bekommt sie dann!“ hatte mir Ali erklärt. Sogar mit der Hausverwaltung hatte er schon gesprochen, kein Problem, dass wir die Katze hielten. Dass ich nicht mit Mia einverstanden sein könnte, hatte Ali nicht einkalkuliert in seinen Plänen… Jeden Widerstand hätte er im Keim erstickt, aber es gab ohnedies keinen…
Während wir frühstückten, spazierte Mia auf dem Tisch und schnupperte interessiert. Schüchtern war sie kein bisschen mehr. Mit großem Appetit hatte sie ein Schälchen mit Sheba verkostet und dazu Wasser getrunken. Wegen des Streichs war ich Ali natürlich nicht mehr böse – und besser so eine Rivalin als etwa doch die neue Kollegin aus der Firma, sagte ich mir. Ich war immer ein Katzenmensch und ich war mir sicher, dass die kleine Mia eine Bereicherung für unser Leben werden würde. Ali küsste mich und meinte lachend. „Im Grunde hatte ich ohnedies keinen Zweifel, dass du von Mia begeistert sein würdest. Verzeih mir, dass ich es so raffiniert eingefädelt habe – es war ein Heidenspaß!“
Vivienne/Die bunte Welt von Vivienne