Duett for Contrabasses, Teil 3

„Das ist Jamie!“

Johnson zeigte auf einen Aufsitzrasenmäher, der gegenüber dem Laden unter einem riesigen Baum, in dessen Schatten parkte.

Ich erkannte sofort in diesem aufgedunsenen Kerl, der sich bemühte vom Fahrersitz abzusteigen, den früher so lustigen James Kirchner, der mit seinem Humor sehr oft, selbst in schwierigsten Situationen, für so etwas wie Zerstreuung unter uns Soldaten sorgte.

„Mal schauen, was er nun wieder anschleppt.“

Johnson verzog sein Gesicht, als er erkannte, dass der Mann in Khakihose und verschwitztem T-shirt, etwas in einem verschmutzten Handtuch eingerollt, vorsichtig in die geöffnete Türe hineinbugsierte.

„Hey man, du führst doch hier keine geladene Waffe mit dir, Jamie? Der Teufel soll dich holen wenn, James!“

Der Angesprochene schüttelte nur stumm den Kopf, was aber den Sergeant nicht wirklich beruhigen konnte.

Es war damals vor etlichen von Jahren, dass ich ihm zuerst begegnete. James, genauso alt wie ich, hatte nach endlosen Streitereien mit seinem Stiefvater, bei der Army angeheuert.

Wir waren uns zuerst in Louisiana im Camp, beim Küchendienst begegnet. Er war mir sofort aufgefallen. Im Gegensatz zu mir, wusste Jamie scheinbar immer genau was er wollte. Er war es auch, der immer gute Laune zu haben schien. Nur das wusste ich noch nicht, bei unserem ersten Schlagabtausch.

„Hey man, man sagt, dass du ein verdammter Yankee bist! Ein verdammter Yankee, der auch noch ein verdammter, schwuler Franzose sein soll!“
Der Kerl schaute mich damals mit breit grinsendem Gesicht an.

„Kein Franzose, Kerl. Ich bin Deutscher. Meine Mutter ist aus Deutschland und ich bin auch in Deutschland geboren und schwul bin ich genauso wenig wie du.“

Ich versuchte besonders cool auf diesen so aggressiv Auftretenden zu wirken.

„Schwuler Franzose oder bescheuerter Deutscher, wo ist der Unterschied, man? Euch Yankees sollte man einfach keine Waffe in die Hand geben. Ihr habt ja keine Ahnung wie man auf die Jagd geht, man! Wo kommst du her man, Boston, New York, Philadelphia? Ich komme aus Atlanta, wenn du weißt, wo das liegt, man!“

Lautes Lachen der anderen in der Küche beschäftigten Rekruten, begleitete den Vortrag des Mannes aus Atlanta. Ich sah mich um. Irgendwie kam mir diese unwirkliche Situation bekannt vor. Beinahe, wie damals in Hamburg, als ich mit zehn Jahren aus dem Bayerischen kommend, mich ganz plötzlich in einer Hamburger Schule wieder fand.

Ich drehte die Burger, die schon etwas zuviel Farbe angenommen hatten um, bevor ich mich wieder dem Mann aus Atlanta zuwandte. Ich bemerkte etwas Unangenehmes in mir aufsteigen. Angst wäre nicht ganz die richtige Bezeichnung gewesen, eher so etwas ähnliches wie Panik.

„Ich weiß wo Atlanta liegt. Georgia, wenn ich mich nicht irre. Südstaaten! Ist im Krieg beinahe völlig zerstört worden, von den Yankees. Peachtree-City! Margret Mitschel. Gone with the Wind.“

Ich sah ihn fordernd an.

„Scheiße man. Atlanta, die Stadt in der dieser Nigger Pastor war. Der, der die Nigger aufhetzte und der jetzt endlich seine Abreibung erhalten hat. Du bist doch wohl nicht ein so scheißliberaler Spinner, man, oder?“

Bei diesen Worten war er ganz dicht an mich herangekommen, so dass ich seinen Atem spüren konnte. Und dieser Atem war es, der mir ganz plötzlich die ganze Situation klarmachte. Der Kerl war einfach nur total zugedröhnt.

Ich schaute direkt in seine Augen und hier nun war ich mir auf einmal absolut sicher und die für mich günstigste Taktik wurde greifbar.

„Du hast Shit, man?“

Er schaute mich verdutzt an.

„Shit, Stoff, Marihuana, Haschisch, Pott, man?“

„Du meinst, ich habe was geraucht, man?“

„Ich meine nicht, ich weiß!“

Er zog seine Stirne kraus und ich überlegte gerade, ob ich ihn wohl mit einem einzigen Faustschlag niederstrecken könne. Der Kerl war zwar größer und schwerer als ich, aber sein jetziger Zustand würde für mich ein großer Vorteil sein.

„Du weißt! Na dann.“
Er war noch etwas näher an mich heran gekommen. Ich merkte, wie sich meine Muskeln und Sehnen zusammen zogen. Der erste Schlag würde entscheidend sein. Ich schaute aus den Augenwinkeln umher. Von den anderen Kerlen hier im Küchenblock, wäre nicht wirklich so etwas wie Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil, in deren Gesichtern war so etwas wie gespannte Erwartung zu erkennen.
Gleich würde der sonst so langweilige Tagesablauf hier im Küchenblock, wohl durch eine kleine Boxvorstellung unterbrochen und hierdurch so etwas, wie ein Höhepunkt eintreten. Ich wagte mir gar nicht vorzustellen, wie wohl die Quoten sein könnten. Sicherlich würde derjenige, der gegen den Trend, also auf mich setzte, den höchsten Gewinn einstreichen können.

Sein Atem zwang mich den Kopf zu drehen. Der Kerl stank fürchterlich aus dem Hals. Nach Käsefüßen!

„Pass auf Franzose, fünf Bucks für dich. Bester Stoff, sag ich dir. Und wenn wir ins Geschäft kommen, werden wir in Zukunft sehr gute Freunde sein, man!“

Er versuchte krampfhaft eine seiner Jackentaschen mit einer Hand zu öffnen, was ihm aber nicht zu gelingen schien. Seine Hand wollte nicht so wie er.

Plötzlich fühlte ich, wie seine andere Hand versuchte an mir Halt zu finden. Ein Reflex brachte mich dazu, ihn mit beiden Händen zu packen, bevor er zu Boden gehen konnte. Er hatte die Augen verdreht und ich hatte sofort das Gefühl, dass es etwas Ernstes sein musste.

Unschlüssig hielt ich den leblosen Körper an meinen Oberkörper gedrückt und schaute mich um. Die anderen, so eben noch unbeteiligt Scheinenden, hatten wohl auch die Situation erkannt und waren zu uns geeilt, so dass wir ihn auf einen im Nu leer geräumten Anricht-Tisch legen konnten.

Es war dann zwei Tage später ein aufgekratzter Jamie, der mich im Revier, in seinem Bett liegend, fröhlich begrüßte.
„Man, warst du das, der mich gefilzt hatte, bevor mich die Medizinmänner in die Hände bekamen?“

Ich nickte stumm.

„Great! Die hätten mich glatt gefeuert, man. Wenn die den Stoff bei mir gefunden hätten, würde ich nie im Leben nach Vietnam kommen. Ich verdanke dir mein Leben, Franzman!“
Ich blickte ihn nur stumm an und versuchte nicht an die Tütchen zu denken, die ich vorsorglich an mich genommen hatte, nach dem ich einem ersten Reflex zufolge, in seinen Taschen gewühlt hatte.

„Franzmann, ich glaube wir können gute Freunde sein, auch wenn du nur ein verdammter schwuler Franzose und Yankee bist.“

Johnson schaute Jamie an.

„Fünfzig Bucks man. Ist die Plempe doch wert, oder? Remington 870 Wingmaster! Das Beste was es gibt. Wallnussschaft mit Intarsien in Gold. Und noch 200 Schuss Munition dazu, Searg. Fünfzig! Nur bis zum nächsten Ersten.“
Er sah mich an, ohne dass ich das Gefühl hatte, dass er mich überhaupt erkannte.

„Was verdammt, Jamie, hat dich dazu gebracht, dir diese ganze Masse an Waffen zuzulegen. Kerl der Vietnamkrieg ist lange vorbei, Jamie und wir sind hier in Amerika und nicht im Irak. Wie viel von diesem Schießgerät hast du noch zu Hause gehortet? Weißt du eigentlich, was du damit anstellen kannst? Einen Krieg mit den Nachbarn vom Zaun brechen?“

Johnson hatte den Kopf geschüttelt und auf eine ganze Reihe von Schießeisen gezeigt, die wohl schon hier beliehen herumhingen. Ich fragte mich gerade, ob Jamie hier wohl Johnsons Hauptlieferant war.
“Pass auf Searg. Wenn Charlie hier auftaucht, putz ich sie alle weg. Diese Kerle sind überall. Wenn sie sich sammeln, wie damals, bin ich bereit. Mir geht keiner durch die Lappen. Diesmal nicht. Wir müssen bereit sein, sag ich dir.“
Seine Augen hatten etwas Irres. Er sah mich an und es schien mir beinahe, dass doch so etwas wie Erkennen über sein Gesicht ginge. Aber er sah sofort wieder nur Johnson an und als der in seine Kasse griff, ging ein seeliges Lächeln über sein Gesicht.

„Pass auf Jamie, ich halte deine Knarren genau bis zum nächsten Ersten fest, dann haue ich sie raus. Verstanden?“

„O.K. Searg, ich denke dran. Übrigens der Kerl da, wer ist der? Kommt mir verdammt verdächtig vor. Könnte ein Spion von Charlie sein, der Kerl! Pass auf ihn auf! Ist kein Amerikaner, der Kerl, sag ich dir.“

„Erkennst du mich wirklich nicht, Jamie? Ich bin`s, der schwule Franzose Tim. Der Yankee aus Atlanta. Der, dem du nicht glauben wolltest, dass er auch aus Atlanta kommt. Jedenfalls, seitdem er in Amerika lebte. Du willst dich wirklich nicht erinnern?“

Ich versuchte so etwas, wie Erhellung bei ihm festzustellen.
Doch da gab es nichts. Nur ein Gesicht, das ständig zwischen Spannung und Entspannung wechselte.
“Mach mir nichts vor, man! Du bist kein Amerikaner, sag ich dir. Dich mach ich alle, wenn du mir zu nahe kommst, man! Jamie ist auf Zack sage ich dir. Nochmal geht unser Land nicht vor die Hunde. Jamie passt auf, auch wenn er jetzt mal knapp bei Kasse ist. Nochmal lässt sich Jamie nicht verschaukeln. Diesmal nicht, sag ich dir. Diesmal bekommen solche Typen ein Loch zwischen die Augen und gut ist.“

Er hatte die Scheine eingesteckt, die ihm Johnson gereicht hatte und schickte sich soeben an, das Pfandhaus zu verlassen, als ihn doch so etwas wie Erkennen zu mir zurückbrachte.

„Tim sagst du? Ich kannte mal einen Tim, war tatsächlich ein verdammter Yankee und schwuler Franzose. Er behauptete immer, dass er aus Atlanta stammte. Konnte aber nicht sein, da ich ihn da vorher nie gesehen habe. War ein prima Kerl. Ist aber damals da geblieben, in Vietnam. Hat ihm wohl so sehr gefallen, da bei den Vietnamesen. Verdammt noch mal, ist doch auch klar. Waren ja auch schon immer da, diese verdammten schwulen Franzosen. In Vietnam, schon verdammt lange vor uns.“

Bei diesen Worten, die beinahe wie eine Beschwörung klangen, hatte er sich umgedreht und langsam, beinahe bedächtig, das Pfandhaus verlassen.

Wir sahen uns nur stumm an, während Johnson die Remington-Pump-Gun über der Theke an einen Haken hing.

© owarinonai 2008 mit freundlicher Genehmigung!

Schreibe einen Kommentar