Eine Freundin von mir, Gerti, hatte zur Geburtstagsfeier gebeten. Und das mitten in der Fußball-WM, just an dem Abend, als die Viertelfinali ausgetragen werden sollten. Albert druckste herum, als ich ihm den Termin genannt hatte. Schließlich rang er sich doch durch, mir reinen Wein einzuschenken: „Ich werde nicht mitkommen, Vivi. Bitte sei mir nicht böse, aber die Viertelfinale laufen an dem Abend – ich möchte die Matches nicht verpassen!“ Ich musste kurz auflachen, als ich ihn vor mir stehen sah, mit schuldbewusstem Gesichtsausdruck, der um Verständnis heischte. Na gut, ich verstand das schon, er und Gerti hatten sich nie so besonders gut verstanden und warum sollte ich von ihm verlangen, dass er sich aufopferte? Nein, das wäre mir zu dumm gewesen!
Dafür versprach mir Albert feierlich, er würde mich zu jeder Stunde, die ich anrief, wieder abholen – sobald halt das letzte Viertelfinalspiel abgepfiffen werden würde. Na, dann stand ja einem netten Abend nichts im Wege – ich ließ Albert zum bewussten Termin mit Tiefkühlpizza, Knabbergebäck und ein paar Flaschen Bier allein daheim und machte mich in der Straßenbahn auf den Weg zu Gerti. Ich war ganz leger angezogen, ein nettes Shirt und meine unvermeidlichen Jeans, wir erwarteten schließlich nicht den Bundespräsidenten bei der kleinen Feier. Gerti begrüßte mich erfreut und sie verlor auch kein Wort über Albert, denn schließlich hatte ich sie dezent vorgewarnt. Außerdem: Albert war nicht der einzige Fußballbegeisterte, der durch Abwesenheit glänzte…
Gerti tischte Gegrilltes auf und es gab jede Menge Salate und Saucen zur Auswahl. Ich kämpfte mich durch die Essensmassen, tratschte hier und dort und schließlich ließ ich mich mit vollem Magen auf der Garnitur im Wohnzimmer nieder. Gerti hatte mir gerade einen Kaffee gebracht und ich rührte in der Tasse, denn mir war ein wenig langweilig. Irgendwie sehnte ich mich nach Ali – ohne ihn war es nur halb so lustig, befand ich. Da tauchte Sepp in der Wohnzimmertür auf. Sepp war ein Jugendfreund von Gerti und auch wenn ich meine Freundin nie darauf angeredet hätte: der Kerl war schleimig und wirkte irgendwie sehr öde auf mich. Ich wandte mich ab, nachdem ich ihn begrüßt hatte und hoffte, der Kerl würde sich wieder verziehen. Sepp dachte aber nicht im Traum daran. Er platzierte sich auf der Garnitur neben mir, lächelte mich schief an und zwinkerte mir zu.
„Na? Ist dein junger Charmeur heute nicht dabei?“ Beinahe hätte ich mich verkutzt. Noch nie hatte jemand Albert in meiner Gegenwart so genannt, einmal abgesehen davon, dass Albert im Herbst auch schon fünfunddreißig wurde – der Terminus „jugendlicher Charmeur“ war da nicht mehr ganz angebracht, befand ich für mich. „Albert legt eine Sonderschicht Fußball ein!“ erläuterte ich Sepp kurz und kümmerte mich wieder um meinen Kaffee. Sepp war hart im Nehmen, er begann ein Gespräch mit mir, trotz meines offensichtlichen Desinteresses und schließlich wusste er von seinen Erfahrungen beim Chatten zu berichten. „Weißt du, © Vivienne, in einem Chat habe ich einmal eine nette Grazerin kennen gelernt. Wir haben uns auch getroffen, als sie in Linz zu tun hatte. Und stell dir vor, wir waren uns auf Anhieb so sympathisch, dass wir uns nach kurzer Zeit zu mir ins Auto verzogen haben, wo sie mir einen geblasen hat.“ Er lachte anzüglich. „Was heißt einen, das waren gleich ein paar und sie hatte solche volle Lippen wie du, mit einem herrlichen Amorbogen, weißt du… Eine aufgeschlossenen Frau halt…“
Diese Geschichte interessierte mich überhaupt nicht, ich widmete mich wieder meiner Tasse Kaffee, bis ich bemerkte, dass mich Sepp schon die ganze Zeit erwartungsvoll anblickte. Etwas verdattert registrierte ich, dass er offensichtlich auf eine Reaktion von mir wartete. Schließlich begann er mir die Geschichte noch einmal zu erzählen, und mit Nachdruck wies er noch einmal auf die Lippen mit dem Amorbogen hin. Ich begann zu begreifen. Der Schmierfink dachte tatsächlich, ich könnte, weil Albert Fußball schauen war, ernsthaft auf die Idee kommen, ich würde Oralsex mit ihm haben, womöglich auch noch in seinem Auto… Ich nahm einen Schluck vom Kaffee und bemühte mich ruhig zu bleiben. Schließlich warf ich ihm einen abschätzenden Blick zu. „Toll für dich, wenn du so eine aufgeschlossene Dame getroffen hast…“ Dann zündete ich mir eine Zigarette an und demonstrierte offensichtliches Desinteresse.
Sepp musterte mich ein paar Minuten sprachlos, so als könne er nicht begreifen, dass ich sein Angebot nicht annahm. Schließlich stotterte er, er würde sich noch etwas zu essen holen und verschwand im Garten. An seiner ganzen Körperhaltung erkannte ich, dass er sauer war, aber mich kümmerte das nicht. Dieser Westentaschencasanova brauchte wirklich nicht annehmen, ich würde mich mit jedem Typen auf einen Quicki verziehen, nur weil ich allein zu dieser Feier gekommen war! Aber die Wahrheit ist wohl, dass sehr viele Leute solche fragwürdigen Angebote tatsächlich nutzen, aus Angst etwas zu versäumen. Irgendwie traurig, dass so manchem oder so mancher eine Beziehung nicht mehr viel Wert ist… Ali stimmte mir zu, als ich ihm am nächsten Morgen von Sepps unmoralischem Angebot erzählte. Er wirkte deswegen durchaus ungehalten auf mich, aber ich konnte ihn davon abhalten, einen Rachefeldzug gegen Sepp zu starten – Kerle wie der wussten es nicht besser!
Nach einer wahren Begebenheit
© Vivienne