Liebeskrank – Teil 5

Es muss weitergehen…

Der Chef hat mich gestern schon angesprochen.
Er hat mich gefragt, ob ich krank wäre.
Oder schwanger.
Beinahe hätte ich gelacht.
Von nichts kommt nichts…!
Aber danach hat die Wunde wieder wehgetan.
Mehr als ich erwartet habe.
Nach der Arbeit gehe ich dann doch in den Park.
Obwohl es frisch ist.
Der Wind bläst böig.
Ich setze mich wieder auf eine Bank.
Und denke nach.
Ein paar Tauben fliegen zu mir.
Erwartungsvoll.
Sie glauben, ich würde sie füttern.
Wie es viele Leute im Park tun.
Doch ich habe nichts für sie mit.
Also flattern sie nach einer Weile wieder weg.
Ich sehe ihnen zu.
Träume davon, mit ihnen zu fliegen.
Einfach weg von hier.
Weg von all meinen Problemen.
Von dir…

Die Spinne ist weg.
Ich mache mir keine Illusionen mehr.
Über dich.
Über uns.
Aber das Endgültige der Situation schmerzt auch.
Du hast nicht mehr angerufen seit wir uns im Park sahen.
Das ist auch kein Wunder.
Ich habe noch deinen ungläubigen Blick vor Augen.
Du wolltest es nicht glauben, dass ich wirklich gehe.
Und ich frag mich auch, woher ich die Kraft dazu hatte.
Wahrscheinlich purer Selbsterhaltungstrieb.
Die Situation zwischen uns hat sich zugespitzt.
Ich hatte nur mehr die Wahl zwischen zwei Katastrophen.
Und wählte die harte Variante.
Aber auch der Schmerz wird irgendwann vergehen.
Irgendwann…
Auch wenn es jetzt nicht so aussieht.
Auch wenn ich bisweilen sterben möchte.
Noch immer.
Aber nicht mehr so oft.
Ich werde wieder lachen.
Ganz bestimmt.
Ich sage es mir wieder und wieder.
Während eine einsame Träne über meine Wange kullert.
Der Wind bläst stärker.
Es wird Herbst.

Ich mache mich auf dem Weg zur Haltestelle.
Teilnahmslos sitze ich dann im Bus.
Mein Blick gleitet gelangweilt über die Gesichter der Leute.
Manche tratschen.
Andere wirken müde.
Und mir gegenüber sitzt jemand.
Groß.
Mit Brille.
Und Schnauzbart.
Er sieht mir direkt in die Augen.
Die ganze Zeit.
Und fast scheint es mir, als kämpfe er mit sich selbst.
Ob er mich anreden soll.
Aber wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein.
Was sollte der Typ mit mir zu reden haben?
Grau und verhärmt wie ich nun mal aussehe.
Und überhaupt…
Ich kann Bartträger nicht leiden.
Ich streiche mir eine lange, strähnige Locke aus dem Gesicht.
Und steige aus.

Ich muss noch schnell in den Supermarkt um die Ecke.
Kaufe dieses und jenes.
An der Kasse steht eine herrliche grüne Pflanze.
Gesund und stark.
Grün – die Farbe der Hoffnung.
Spontan heb ich sie hoch.
Keine Schädlinge.
Und nicht teuer.
Und nehme sie mit zu mir.
Mit der Tüte und dem Topf bin ich jetzt schwer beladen.
Umständlich krame ich in meiner Tasche nach dem Schlüssel.
Das gibt es doch nicht.
Kann ich dir helfen?
Die Stimme weckt eine undeutliche Erinnerung in mir.
Ich dreh mich um.
Auf dem ersten Blick ist mir das Gesicht fast fremd.
Der Mann lächelt verlegen.
Ich hatte zufällig wieder in der Straße zu tun….
Wenn ich dir beim Tragen helfe, bekomme ich dann wieder einen Tee?
Mein Gott, wie peinlich.
Der Typ, dem ich vor einer Woche fast vor das Auto gelaufen wäre.
Und der mir dann Stunden zugehört hat.
Stunden.
Ich sehe ihn mir stumm an.
Unscheinbar ist er…
Bis auf die dunkelblauen Augen.
Sie strahlen.
Nach ein paar Momenten reiche ich ihm den Topf.
Wortlos.
Und krame weiter in der Tasche.
Ohne einen klaren Gedanken, was ich jetzt tue.
Sekunden später hab ich den Schlüssel in der Hand.
Ich sehe meinen Begleiter an.
Dann sperre ich die Tür auf.

Warum auch nicht…

© Vivienne

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