von Vivienne – April 2004
Verkehrte Welt
Beschwingt schlüpfte ich in meine Schuhe und knöpfte die Jacke eilig zu. Vicky hatte eben angerufen und mich gebeten, mich mit ihr in einem Café zu treffen. Sie hätte ganz tolle Neuigkeiten für mich, hatte sie noch geheimnisvoll dazu bemerkt. Ich konnte mir schon denken, worum es da ging. Verschmitzt lächelnd sperrte ich die Wohnung ab und lief voller Elan die Stiege hinunter. Dass die beiden, Vicky und Bert, heiraten wollten, wusste ich seit letztem Jahr, aber vielleicht gab es nun einen konkreten Anlass für die Hochzeit. Womöglich stand Nachwuchs an wer weiß!
Ich ertappte mich dabei wie ich leise einen Song aus dem Radio dahinsummte. Ja, die Welt konnte wundervoll sein, selbst wenn der Wind wieder so dahin pfiff wie jetzt. Ich floh vor ihm ins Lokal und winkte Vicky, die etwas weiter hinten saß. Sie sah süß aus und hatte sich so positiv verändert, seit dem die leidige Geschichte mit dem Chaoten Paul hieß er doch endlich ausgestanden war. Ich küsste sie auf die Wangen und zog die Jacke aus. Gott war ich gespannt auf die Neuigkeiten, aber zuerst bestellte ich noch ein Melange und ein Glas Wasser.
Vicky begann über Belanglosigkeiten zu plaudern, erzählte von dem neuen Wohnzimmerschrank, den die beiden kürzlich gekauft hatten und ließ mich vorerst noch zappeln. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich unterbrach meine Freundin mitten im Satz und meinte ungeduldig: Bitte, Vicky, wann ist es so weit? Es zerreißt mich gleich! Vicky lachte. Was meinst du denn? Na, extra wegen dir habe ich mir keine Zigarette angezündet. Ich meine wegen euch, natürlich. Du weißt, was ich meine, oder? Vicky sah mich einen Moment völlig verdattert an, dann erst begriff sie: Nein, Vivi, ich bin nicht schwanger. Du kannst ruhig rauchen. Mit offenem Mund registrierte ich nur, dass mir die Serviererin meine Melange hinstellte. Da hatte ich mich wohl ein bisschen voreilig in etwas verrannt. Aber was wollte mir Vicky dann anvertrauen?
Viktoria schien meine Gedanken lesen zu können und kam zur Sache. Heiraten werden wir, Bert und ich, am 14. August, im Amstetten. Von dort kommt Bert ja, wie du weißt. Den Tag haben wir deshalb gewählt, weil ich an einem 14. geboren wurde und wir uns auch an einem 14. kennen gelernt haben. Vicky lächelte glücklich, nein, sie strahlte geradezu. In ihren grünen Augen fand sich das Feuer einer erfüllten Liebe. Einen Moment war ich fast eifersüchtig. Nicht, dass ich es mit Albert schlecht getroffen hatte, ganz im Gegenteil. Aber von Heirat war zwischen uns nicht die Rede, würde es wohl auch in nächster Zeit nicht sein. Damit konnte ich auch an sich gut leben, aber trotzdem spürte ich ganz kurz einen Hauch von Neid in mir aufsteigen. Neid auf ihr Glück obwohl ich es doch selber so gut getroffen hatte.
Ich schob die Wolke auf meiner Seele brüsk zur Seite und küsste Vicky auf die Stirn. Ich freu mich so für dich. Und ich wünsch euch alles Gute. Und das meinte ich durchaus auch ehrlich. Vicky plapperte fast wie auf Kommando los, was sie alles planten für ihr großes Fest. Es gab ja noch so viel zu tun! Schließlich zahlten wir und machten uns auf den Weg in das Passage City Center. Dort, in jenem neu eröffneten Modegeschäft, wollte Vicky ein passendes, cremefarbenes Kleid für den festlichen Anlass suchen. Sie fand sich nichts wirklich, ich allerdings nannte nach der Shopping-Tour einen schwarzen Leinen-Zweiteiler mein eigen, obwohl ich doch gar nichts gesucht hatte. Während ich auf die Kasse zusteuerte, läutete Vickys Handy, was ich aber zunächst nicht beachtete.
Nachdem ich bezahlt hatte, merkte ich aber, dass das große Glück aus den Augen meiner Freundin gewichen war. Der Stimmungswechsel war so eklatant, dass ich mit einer Frage nicht hinterm Berg hielt. Vicky seufzte. Meine Schwester, Angelika, sie ist wieder in psychiatrischer Behandlung David, mein Neffe, hat gerade deswegen angerufen Ich schwieg, unangenehm berührt, es tat mir offen gesagt leid, dass ich nachgefragt hatte. Aber Vicky beruhigte mich. Es ist wegen ihrer zerbrochenen Ehe, wie schon einmal, sie wird nicht fertig damit. Wir strebten auf den Ausgang zu und ich rekapitulierte im Geist, was ich von Angelika, die ich bisher nie kennen gelernt habe, wusste. Über zehn Jahre älter als Vicky, deren Geburt seinerzeit nicht unbedingt geplant gewesen war, hatte diese überaus attraktive Frau schon zwei erwachsene Kinder. Seit mehr als zwanzig Jahren führte sie mit ihrem Mann ein Lokal in der Linzer Altstadt. Sehr erfolgreich, weil mit ganzem Herzen.
Die Ehe der beiden hat ja lange Zeit sehr gut funktioniert, setzte Vicky fort, aber vor fast zwei Jahren haben die beiden eine neue Kellnerin eingestellt, eine fleißige und engagierte Frau an sich. Aber Vicky sah mich mit traurigen Augen an. Vor zwei Stunden hatten diese noch geleuchtet von innerem Feuer, aber nun wirkten sie leer und fast farblos. Aber dann fing diese Frau ein Verhältnis mit meinem Schwager an. Angi hat es nicht gleich bemerkt, aber irgendwann las sie versehentlich eine SMS auf dem Handy ihres Mannes, die keinen Zweifel offen ließ. Kurt, so heißt er, bestritt zuerst alles, aber schließlich gab er diese Beziehung dann doch zu. Es blieb ihm ja nichts anders übrig.
Wir gingen die Landstraße entlang. Der Wind blies nicht mehr so stark, aber es hatte leicht zu nieseln begonnen. Natürlich , setzte Vicky halb in Gedanken fort, versprach Kurt, dass das Verhältnis per sofort zu Ende wäre. Was es aber defacto nicht war. Dieser ständige psychosoziale Stress war furchtbar für Angi und selbst als die Kellnerin endlich den Betrieb für immer verließ, fehlte ihr jegliche Gewissheit, dass sie nicht weiter betrogen werden würde. Sie hat an Scheidung gedacht, Vivi, und doch wieder verworfen, weil das Lokal dann verkauft hätte werden müssen. Alles, wofür sie gelebt hatte in den letzen Jahrzehnten, wäre vorbei gewesen. In dieser Phase Vicky wischte sich verstolen eine Träne aus dem Gesicht begab sie sich zum ersten mal ins Spital um fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Das hast du mir gar nicht erzählt. Ich war erschrocken. Nicht im Geringsten hatte ich geahnt, welche Tragödie sich da im Leben von Vickys Schwester abspielte. Das wusste niemand außer Bert! gab Viktoria zu. und natürlich hatte ich gehofft, es würde eine einmalige Sache bleiben. Angi schien sich auch wirklich besser zu fühlen, aber der Ehealltag mit Kurt ließ die eben abgeebbten seelischen Stürme wieder aufleben. Kurt tat so, als wenn nichts gewesen wäre, Angi weiß nicht, ob er die frühere Kellnerin nicht weiter heimlich trifft und die Ehe ist im Grunde am Ende. Meine Schwester wird mit dem Vertrauensbruch einfach nicht fertig und sie findet keine gemeinsame Basis mehr. Wie denn, Vivi, wenn es zu keiner Aussprache kommt. Sie weiß nicht wie es weitergehen soll. Ohne die Kinder hätte sie sich vielleicht schon etwas angetan.
Und jetzt ist sie also wieder im Spital um sich betreuen zu lassen, stellte ich fest. Ich drückte Vicky so fest ich konnte. Auch wenn sie es mir nicht so zeigen wollte, ich merkte gut, dass das alles meiner besten Freundin sehr nahe ging. Minuten standen wir so da, Leute marschierten an uns vorbei, aber das kümmerte mich nicht. Schließlich löste sich Vicky wieder von mir und wir gingen langsam weiter. Zunächst schwiegen wir, aber dann meinte Vicky mit etwas Bitterkeit in der Stimme: Das Schlimmste ist ja nicht einmal, dass Angis Seele so leidet. Das Schlimmste ist, dass Kurt das alles an die große Glocke hängt und diese Fakten brühwarm weitergibt, an Kunden wie an Freunde. Und sich auch noch bemitleiden lässt, dass er so eine Frau hat. Obwohl er allein die Schuld trägt an ihrem Zustand. Ist das nicht arg???
Energisch presste ich die Lippen aufeinander. Angesichts solcher Vertreter der männlichen Spezies konnten einem schon die Zornesadern schwellen. Natürlich sind nicht alle gleich, es wäre falsch, alle Männer über einen Kamm zu scheren, aber dieser Kurt war sicher keiner, der besondere Sympathien bei mir weckte. Nach so langer Ehe. Nach zwei Kindern und einem Lokal, das sie beide gemeinsam hochgebracht hatten in eine Affaire flüchten, als ob das alles nichts wäre, was die zwei miteinander geschaffen hatten. Und trotz dieser Charakterlosigkeit wurde diesem Seitenspringer jetzt auch noch Mitgefühl gezollt. Verkehrte Welt! Oder anders rum: Männer kommen ein ehernes Gesetz – in solchen Tragödien meistens besser weg als sie es verdienen, weil sie eben Männer sind
Nach einer wahren Geschichte
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