Thilo Sarrazin – Ansichtssache

Das österreichische Nachrichtenmagazin „profil“ hat in seiner jüngsten Ausgabe den „Menschen des Jahres“ prämiert. Die von der Redaktion in einer offenen Abstimmung durchgeführte Wahl fiel dabei etwas überraschend auf Thilo Sarrazin, da „niemand 2010 die politische Debatte im deutschen Sprachraum so stark geprägt hätte wie der frühere SPD-Politiker“. Das Magazin legt aber auch Wert auf die Feststellung – in dicken Lettern gedruckt – daß es sich dabei um keine Sympathiekundgebung handeln würde.

Thilo Sarrazin, Jahrgang 1945, promovierter Volkswirt ist seit 1973 SPD-Mitglied und war von 1975-2010 im öffentlichen Dienst in Deutschland tätig, seit 2009 war er Vorstandsmitglied der Bundesbank. Im August 2010 erschien sein Buch „Deutschland schafft sich ab“, von dem beachtliche 1,2 Millionen Exemplare über den Ladentisch wandern sollten. Die in dem Buch vorgebrachten Thesen sorgten für einige Irritationen bei der Bundesbank, weshalb der Vorstandsvertrag letztlich einvernehmlich aufgelöst wurde. Auch die SPD, in der Sarrazin bisher lediglich als konservativer Zwischenrufer wahrgenommen wurde, erwägt mittlerweile ein Parteiausschlußverfahren.

Auch selbst war mir zuletzt das Buch „Deutschland schafft sich ab“, nicht zuletzt aufgrund seines pointierten Titels, nicht gänzlich verborgen geblieben. Doch erst die Titelstory im „profil“ war heute der aktuelle Anlaß mich mit Sarrazin etwas näher auseinanderzusetzen und meine Gedanken dazu in meiner Kolumne abzuhandeln. Ich möchte eingestehe, daß ich mir noch selten so schwer getan habe ein Thema abzuhandeln. Ich habe schon zahlreiche Beiträge über Rechtspopulismus verfaßt, doch schafft es Sarrazin offenbar einigermaßen erfolgreich sich einer Vereinnahmung durch diese Szene zu entziehen indem er vorgibt sich lediglich auf ökonomisch fundierte Fakten zu berufen. Eine Einladung der FPÖ, die sein Buch bereits für Wahlkampfzwecke eingesetzt hat, wollte Sarrazins etwa nicht Folge leisten, da er damit Gefahr laufen würde – wie er in einem Interview meinte – „daß mir meine Feinde das Etikett des Rechtspopulisten anhängen“.

Die Kernaussage Sarrazins läuft darauf hinaus, daß die mitteleuropäische Geistes- und Lebenskultur durch Zuwanderung ungebildeter moslemischer Zuwanderung von der Auslöschung bedroht sei. Wenn die Reporter vom „profil“ einwerfen, daß hier pauschaliert wird kontert Sarrazin mit Statistiken über die Geburtenrate von deutschen und muslimischen Frauen. „Jeder Hunde- und Pferdezüchter lebt davon, daß es Unterschiede im Begabungsprofil gibt und daß diese Unterschiede erblich sind“ spart der SPD-Politiker auch äußerst fragwürdige Beispiele nicht aus. Nicht weniger gewagt erscheint Sarrazins Aussage, er würde sich als „Ingenieur auf der Titanic“ sehen – für die Passagiere des Luxusdampfers wäre der Untergang 1912 unmittelbar nach der Kollision mit einem Eisberg auch noch nicht vorstellbar gewesen. Den Vorwurf der Angst- und Panikmache weist der eigensinnige Bestsellerautor gekonnt von sich.

Kommen wir zu weiteren fragwürdigen Thesen aus dem meistverkauften deutschsprachigen Sachbuch des Jahres 2010. Mit der Forderung nach einem Einwanderungsstopp und Kopftuchverbot reiht sich Sarrazin durchaus in die Riege einschlägiger Parteien ein. Weiters sollen aber auch Kinder in Form der Ganztagsschule „vor falscher Erziehung im bildungsfernen Elternhaus bewahrt werden“. Das Kindergeld solle wiederum möglichst gebildeten Frauen vorbehalten bleiben, da nur diese zur „Verbesserung der sozioökonomischen Qualität der Geburtenstruktur“ beitragen können. Das würde heißen das weniger gebildete Menschen, die sozialpolitisch meist eher auf Unterstützung angewiesen sind künftig von Förderungen ausgeschlossen wären, da ihre Fruchtbarkeit staatspolitisch nicht erwünscht sei.

Man kann verschiedener Meinung sein, wieweit es gerechtfertigt war, daß das Nachrichtenmagazin „profil“ Sarrazin zum „Menschen des Jahres“ ausgewählt hat. Ich bin aber davon überzeugt, daß dies bestimmt nicht aus Begeisterung über dessen Thesen stattgefunden hat. Was nämlich unbestreitbar bleibt sind die enormen Verkaufszahlen des Buches und die teilweise öffentliche Zustimmung zu den gefährlichen Positionen. Auch wenn Sarrazin demnächst aus der SPD ausgeschlossen wird und auch keine Parteigründung in Erwägung zieht darf man davon ausgehen daß seine Botschaften unbewußt Einzug in die Tagespolitik nehmen werden.

Pedro

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