Wenn einer etwas verschweigt…

Stellen Sie sich folgende Geschichte vor, liebe Leser: eine Frau lernt über das Internet jemanden kennen, trifft sich, verliebt sich. Ein tolles Gefühl, bis sie dahinter kommt, dass er offenbar noch mit einer anderen Frau intensiven Kontakt hat. Es stellt sich heraus, dass es sich um eine Freundin von ihm handelt, die ein Kind mit ihm hat. Ich möchte die Frau sehen, die da nicht sauer reagiert. Manche lassen sich vielleicht trotzdem vom treulosen Mann überreden das Verhältnis fortzusetzen, aber es wird wohl scheitern – was auf Lüge oder Halbwahrheit aufgebaut ist, hat keinen Bestand, ganz klar. Andere werden sich in so einer Situation gleich zurückziehen, ein schaler Geschmack bleibt so oder so…

Mir ist etwas Vergleichbares passiert, kürzlich. Eine Leserin eines Uralt-Beitrages von mir zum Thema Minderwertigkeitskomplexe und Schuldgefühle meldete sich in einer Mail bei mir. Nennen wir sie der Einfachheit halber M. Sie wollte sich austauschen mit mir, hatte bittere Erfahrungen gemacht, wie sie andeutete und sie bestand auf einer sehr intensiven Betrachtung der Causa. Ich war skeptisch, gebe ich zu, im Web und mit jemandem, den man nicht kennt, solche Erlebnisse auszureden, aber ich wollte die Sache mal angehen. Ich gewährte der Dame einen kurzen Einblick in mein Leben, worauf sie mit einer üblen Erzählung konterte: ihre Mutter wollte sie abtreiben, Prügel, Schläge, Schuldkomplexe. Ich war erschüttert, gleichzeitig war ich aber auch misstrauisch, als sie davon sprach, dass sie geheilt werden könne. Ich glaube nicht an Heilung von Minderwertigkeitskomplexen und Schuldgefühlen, nein, man muss lernen damit zu leben und umzugehen. Narben und Wunden aus der Kindheit – wie sollte man die glätten?

In eine Schreibpause von M hatte ich einmal die Idee nach ihrem Namen zu googeln – und wurde fündig. Ich fand eine Dame gleichen Namens, deren HP zur psychotherapeutischen Praxis gerade nicht erreichbar war. Als erstes wandte ich mich an Webmaster Peter, der meine Bedenken nun voll und ganz teilte und mir riet, mich sofort von der Dame zurückzuziehen. Ich wollte es natürlich genau wissen und redete die Frau darauf an, um Gewissheit zu haben. Sie gab ihre Ausbildung zu und meinte, sie wolle sich später melden. Worauf ich sie sinngemäß darauf hinwies, dass ich unter diesen Voraussetzungen kein Interesse mehr hätte. Das Merkwürdige daran: ihre Ausbildung, die sie mir wohlweislich verschwiegen hatte, wäre für mich ein Grund gewesen, nie einen Kontakt zu dieser Frau aufzubauen. Sie allerdings, nun mehr aufgedeckt, sah darin kein Hindernis.

Heute Mittag bezeichnete mich M aufgrund meiner abwehrenden Haltung – ich hatte ihr unterstellt, dass die traurige Lebensgeschichte wohl nicht stimmen würde und sie mich nur wegen ihrer Praxis kontaktiert hätte – als paranoid und in einer Traumwelt lebend. Ich musste fast schmunzeln deswegen. Es passiert mir nicht oft, dass man mich des Verfolgungswahns bezichtigt, dass ich mich aber aufgrund ihrer Unehrlichkeit zurückziehe, ist denke ich, mehr als logisch. Ob die traurige Geschichte nun stimmt oder nicht. M hatte die Karten nicht auf den Tisch gelegt und wunderte sich, dass ich nicht mehr mit ihr kommunizieren wollte. Denken wir an mein Beispiel eingangs. Der junge Mann, der zugeben musste, dass er eine weitere Freundin und ein Kind hat, hätte wohl ähnlich reagiert. Er hätte seine Bekanntschaft wohl nicht als paranoid bezeichnet aber versucht, um jeden Preis die Bindung fortzusetzen: „…die anderen Frau, sie bedeutet mir nichts, eigentlich bin ich nur wegen des Kindes noch bei ihr…“ – wir kennen alle solche Ausreden. Vom Hörensagen oder aus eigener Erfahrung…

M ging es wohl vergleichbar und die Tatsache, dass sie eine Praxis nun abstreitet – obwohl ich sie durch Google und aufgrund der HP erst aufdecken konnte – ist in dem Zusammenhang zu vernachlässigen. Wahrscheinlich ist sie im Aufbau, wie auch immer. Was aber mehr zählt ist, dass ich ihr den Rücken zukehre, verständlicherweise, weil die Dame falsch bzw. nicht nach fairen Regeln gespielt hat. Ihre Anschuldigungen und Verunglimpfungen sollen mich verunsichern und/oder erreichen, dass ich den Kontakt aufrecht halte. Wie gesagt, oft werde ich nicht als paranoid bezichtigt, aber wenn, dann habe ich meist mit meinen Vermutungen ziemlich ins Schwarze getroffen. M war es durchaus bewusst, dass ich ihr ablehnend gegenübertreten würde, wenn ich von ihrer Ausbildung gewusst hätte. Für mich ist logisch, dass sie durch das Verschweigen eine Vertrauensbasis schaffen wollte – die es sonst nie gegeben hätte. Ehrlich gesagt, ziehe ich mich jetzt aber nicht wie von M vorgeschlagen in meine Scheinwelt zurück, sondern werde mir nach Beendigung dieses Beitrags eine Tasse Kaffee genehmigen und danach die Wohnung putzen: Scheinwelt oder nicht, lieber Leser, im Licht der Nachmittagssonne zeigt sich mancher Mist und der muss weg…

© Vivienne

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