Am Feiertag beglückte orf.at seine Leser wieder mit dem Ergebnis einer Studie aus Mannheim. (Link) Das Großstadtleben mache depressiv, wird da sinngemäß behauptet. Die Zahl der Angststörungen steige ebenso wie die Anfälligkeit für Schizophrenie-Erkrankungen. Angaben über die Anzahl der untersuchten Personen bzw. Testreihen fehlen mir in der Mannheimer Studie völlig. Aber der Faktor Stress und seine Auswirkungen ließen sich angeblich bei den Städtern nicht leugnen. Der Herzschlag, die Menge von Stresshormonen im Blut und der Blutdruck würden steigen. Und bestimmte, stressanfällige Hirnregionen sollen sich verändert haben. So weit, so gut.
Vorab möchte ich mich einmal der Meinung meines Kollegen Peter anschließen, der schon in seinem Beitrag zur Studie anführte, dass jeder andere Anforderungen an sein Privatleben stellt. Glücklich ist der, der in seiner Welt das vorfindet, das ihn zufriedenstellt. Selber bin ich vor vier Jahren nach einem fast ewigen Dasein auf dem Land in die Stadt gezogen – und habe diesen Schritt nie bereut. Ganz im Gegenteil: durch mein Stadtleben ist der Faktor Stress für mich fast vernachlässigbar geworden. Im Gegensatz zu früher kein Hasten zum Zug mehr, keine Sorgen, ob ich zu spät in die Arbeit komme, weil es heftig geschneit hat. Mein Leben wurde durch den Umzug auf’s Land vielmehr um einiges beschaulicher und gemütlicher. Und ich kann mehr Freizeit genießen, weil ich nicht zwei oder mehr Stunden am Tag in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringe…
Ich gebe schon zu, dass es manchen nicht stört, wenn er eine halbe Ewigkeit zwischen selbst gebautem Eigenheim in der Natur und dem Arbeitsplatz in der Großstadt pendelt. Mich selber hat das allerdings in all den Jahren immer mehr zermürbt. Da ich nie ein Auto besaß, man aber andererseits auf dem Land ohne Wagen so gut wie aufgeschmissen ist, arteten Einkäufe zu mittleren Ausflügen aus. Ein Besuch des Urfahraner Marktes etwa kostete mich früher doppelt so viel Zeit als ich letztlich auf dem Vergnügungsjahrmarkt verbrachte. Ein Luxus schon… Nein, wenn ich mich so erinnere an mein früheres Landleben, dann hatte das fast nur Nachteile für mich parat. Und im Besonderen hat sich der Stress seitdem ich in Linz wohne deutlich minimiert. Weil Busse und Straßenbahnen in der Stadt an sieben Tagen in der Woche fahren, und am Wochenende auch Nächtens.
Mancher Verfechter des Landlebens wird da kontern, dass er selber gerne frische Luft genieße und im Großstadtdschungel nie glücklich werden könne. Natürlich ist meine Stadt Linz keine Landoase, aber wenn ich aus dem Fenster sehe, habe ich viel Grün um mich. Bäume, Sträucher, Wiesen – es wird heutzutage viel getan in den Städten um hohe Lebensqualität zu bieten. Fünf Minuten von mir daheim entfernt befindet sich ein Park, in dem man herrlich relaxen kann. Vogelgezwitscher und blühende Bäume und Sträucher nur ein paar Minuten von einer wichtigen Straßenverbindung entfernt vermitteln eine schöne Möglichkeit, ganz in die Natur einzutauchen und trotzdem gleich mitten im Geschehen zu sein…
Aber ganz abgesehen davon: in dieser Frage hat niemand Recht. Es gibt kein allgemeines richtig oder falsch, ob Stadtleben oder Landleben besser ist. Richtig ist das, was man selber möchte und will. Ich schlage da in dieselbe Kerbe wie Kollege Peter: auf dem Land zu „versauern“, angewiesen auf Mitfahrgelegenheiten und indiskutable Fahrzeiten von öffentlichen Verkehrsmitteln wäre für mich eine Strafe. Meine Wohnung in der Stadt eingebunden an den öffentlichen Verkehr und in der Nähe von einigen Supermärkten und Geschäften ist ein echter Glücksfall. Kein Stress mehr am Morgen beim Frühstück, kein „Morgengrauen“ wegen der allzu frühen Aufstehzeit und der Weg zur Straßenbahn gestaltet sich erfreulich kurz – das habe ich mir verdient! denke ich mir oft.
Und so muss jeder auf seine Weise glücklich werden. Wen Parkplatzsuche am Morgen nicht stört, wer entspannt mit dem Zug eine Stunde in die Arbeit ruckelt, wer seine Terrasse im Eigenheim schätzt auch wenn ihn sein Status als Pendler Stunden kostet, der soll glücklich werden damit. Denn darum geht es: wer glücklich ist, wer sich an seinem Heim und seinem Wohnort erfreut, der wird dort weder depressiv noch schlägt er sich mit anderen seelischen Störungen herum. Studien wie jene aus Mannheim bringen mich immer zum Kopfschütteln. Kann ein MRT wirklich exakt zeigen, was ein Mensch in seinem tiefsten Innersten spürt und fühlt? Ich denke nicht. Wenn jemand zufrieden ist und sein Dasein genießt, dann liest man das in seinem Gesicht. Dazu braucht es keine seltsamen Studien, für die doch komischerweise immer Geld da ist – möchte ich einmal ganz provokant festhalten.
Ganz abgesehen davon: Wer weiß, ob es nicht in einem Dreivierteljahr schon wieder eine australische Studie gibt, die uns das genaue Gegenteil beweisen möchte…
Vivienne