V-Twins! – Sielmann und der Kupplungszug

Sielmann hatte den UPS-Mann schon von weitem kommen gesehen. Der hatte seinen schokobraunen Laster einfach auf der braungrünen Fläche im umbauten Karrée der Plattenbauten abgestellt. Braungrün deshalb, weil Rasengrün immer wieder mit braunen Lehmflächen im Wettbewerb zu stehen schien. Hier vermischte sich nun schon seit geraumer Zeit die Bemühung der Hausverwaltung für Verschönerung durch Rasenpflege, mit dem Phlegma der Hausbewohner. Während die Einen noch ernsthaft versuchten das restliche Stückchen Rasen irgendwie zu kultivieren, warfen die Anderen dann dort einfach ihren Müll hin. In dieser Großwohnanlage, bösartig auch schon mal „Kinderfabrik fürs Präkariat“ genannt, war ständiges Kommen und Gehen der zeitweiligen Bewohner angesagt. Die frisch Zugezogenen stellten dann ihren Müll zunächst erstmal in die Kellergänge, während Ausziehende, einige ihrer Habseligkeiten der Einfachheit halber auf den Grünflächen vergaßen.

Der UPS-Mann hatte ein ziemlich großes und ganz offensichtlich nicht allzu leichtes Paket auf der Schulter. Sielmann war auf den nur unzulänglich gepflasterten Gehweg getreten und überlegte noch, ob er dem armen Kerl nicht doch ein kleines Stückchen entgegen gehen sollte. Diese Auspuffanlage dürfte in der Tat ganz schön schwer sein. Vier dick verchromte Rohre, in noch dickeren, ebenfalls chromigen Auspufftöpfen endend.

Bei dieser Honda ging es ja um nicht weniger, als das Charakteristikum dieser Epoche in die Jetztzeit herüber zu retten. Hatte diese Vier-Zylindrigkeit damals, 1969, doch einen grandiosen Wendepunkt in der Historie des Motorrades insgesamt bedeutet. Und diesem historischen Umstand galt es auch schon damals, ein frisches Gesicht zu geben. Also endete der Abgasstrahl jedes einzelnen Zylinders auch in seinem ganz eigenen Auspuffendrohr. Diese Honda war nicht nur eine Sensation gewesen, als erstes Großserien-Krad mit vier Pötten, sondern bedeutete nicht weniger als eine völlige Abkehr von alten Traditionen. Durch diese, seinerzeit technische Revolution, wurde eine neue Seite im Großen Buch der Fahrzeuge auf zwei Rädern aufgeschlagen.

Neuere Geschosse werden heute beinahe nur noch mit Zentral-Auspuffanlagen geliefert. Natürlich ließ sich eine alte Honda CB 750 Four mit den Boliden der Neuzeit nicht mehr in eine Reihe stellen. Dieser alte „Reis-Börner“, oft benutztes Schimpfwort für die beständig stärker auf die internationalen Märkte drängenden Japan-Kräder, ließ es für heutige Zeiten eher behäbig angehen und bei Hayabusa-Treibern und Co war diese „Schüssel“ eher etwas zum Ablachen.
Sielmann konnten solche Überlegungen aber nun nicht etwa von seinem weiteren Tun abhalten. Hier musste ein Klassiker der Motorrad-Historie wieder so nah als nur möglich, an seine frühere Ausstrahlung heran gebracht werden. Und dazu gehörte nun mal die Original-Anmutung der Siebziger Jahre.

Die Siebziger! Mutti war bekniet worden. Mutti war beschworen worden. Mutti war bedrängt worden. Sie hatte sich schlussendlich dann doch noch irgendwie dazu durchgerungen, für Sielmann den Kauf dieser Honda „einfach durchgehen zu lassen“. Sie konnte sich eigentlich noch nie für Motorräder begeistern. Doch Sielmann hatte alle seine Register in psychologischer Kriegsführung gezogen und so war er dann eines schönen Freitag-Nachmittags dem Bus hinterher gefahren, aus dessen Rückfenster Mutti besorgt auf Sielmann blickte. Der auf einer nagelneuen Vierzylinder-Honda hockte und über alle Backen grinsend, Mutti im Windschatten folgte. Einer 500er zwar nur, aber natürlich 4 zylindrig! Da Sielmann damals mit 18 noch nicht volljährig war, musste Mutti natürlich den Kaufvertrag mit unterzeichnen. Vati hatte nur in seiner bedächtigen Art, irgendetwas Unverständliches gebrummelt.

Vier Zylinder! Eigentlich hing Sielmanns Herz immer nur an zwei Zylindern. Doch, als diese Honda CB four erstmalig auf der Bildfläche erschien, war das wie ein mächtiger Paukenschlag in der Zweirad-Gemeinde aufgenommen worden. Deutsche Hersteller hatten seit jeher Zweizylinder in Boxerform oder wieder ganz anders die Briten, in Parallel-Twin-Bauweise und die verspielten Italiener dagegen gerne im 90 Grad-Winkel in Fahrtrichtung geneigt, während es Harley Davidson da schon seit dem legendären Baumuster „0“ aus dem Jahr der Firmengründung 1903, mit einem nur leicht verkröpften „Vau“ in Fahrtrichtung versuchte.

Hier waren die zunächst noch 750 ccm Hubraum auf zwei Zylinder verteilt, die zudem ihre Kraft weniger der Drehzahl verdankten, denn der konsequent verfolgten Langhubigkeit.

Ja, die Amerikaner hatten sich dem allgemeinen Zeitgeist einfach konsequent verwehrt. Beständigkeit hieß da wohl schon immer die Devise.

Sielmann konnte sie alle herunterbeten. Die verschiedenen Bauformen der Boliden aus Milwaukee, die schon immer einen ganz besonderen Glanz, nicht nur auf ihre Besitzer verstrahlten.

1909 kam dann das erste Vollserien-Model mit 45 Grad Zylinderwinkel und der noch heute geläufigen Charakteristika. Der, von nun an, „Vau“ trieb über einen Lederriemen das Hinterrad eines eher Fahrrad-Rahmens an. Die ausgewiesenen 7 PS reichten schon unbedingt für eine Geschwindigkeit weit jenseits der Schritte eines Erwachsenen.
1929 kam dann der später „Flat-Head“ genannte Twin, der insgesamt 44 Jahre lang beinahe unverändert gebaut wurde und in unzähligen Militärmaschinen während des Zweiten Weltkrieges an allen Fronten seine Zuverlässigkeit beweisen konnte.

Diese Weltkriegs-Kräder bildeten dann nach dem Krieg die Basis für unzählige Motorrad-Verrückte, um abgespeckt, also „gechoppt“ von allem Militärischen, zu „Choppern“, oder „Bobbern“ zu werden, die fortan den zurückgekehrten GI`s als sowohl Fortbewegungsmittel, als auch Status-Symbol für eine freie Lebensführung auf zwei Rädern zu dienen.
Der Film „Easy Rider“ mit Peter Fonda und Dennis Hopper als Darstellern und Regisseur, der damit auch noch indirekt das Überleben des Herstellers Harley Davidson zur Folge hatte, versuchte zumindest in Ansätzen dieser Legende zu folgen.

„Easy Rider“, eigentlich der Plot eines vermurksten Drogendeals, konnte einer neuen Generation von Darstellern, genial in seiner Rolle, wie Sielmann fand, Jack Nicholson, Hollywood-Regisseuren, sowie Drehbuchschreibern als „door-opener“ dienen.
Harley Davidson, den Erfolg des Streifens beinahe verpennend, fing dann selber erstmalig zögerlich damit an, Serien-Maschinen so zu gestalten, dass unverwechselbare Einzelstücke für wenige gutbetuchte Käufer angeboten werden konnten.
Die im Film verwendeten Modelle dagegen, waren 15-20 Jahre alte Auslaufmodelle, die von einer Polizei-Auktion stammten und dann von den Brüdern Vaughs und Hardy radikal umgebaut wurden. Eine 50er, eine 52er und zwei 51er wurden „gepimmt“ und die beiden Afro-Amerikaner hatten in der Bikerszene schon Mitte der „Fiveties“ einen höchst guten Ruf als Veredler von Bikes, obwohl im Lande der unbegrenzten Unmöglichkeiten noch strikte Rassentrennung galt.
Ironie am Rande: die drei wirklich noch funktionierenden Bikes wurden noch vor Abschluss der Dreharbeiten von bis heute noch Unbekannten gestohlen. Das dann noch verbliebene Motorrad war kurz zuvor für die Schlussszene, in der das Bike explodieren sollte, erst in seine Einzelteile zerlegt worden. So kam es auch dazu, dass in den dann noch zu drehenden Szenen, keinerlei Bike`s mehr zu sehen sind.

1948 folgte auf den „Flat“ der „Pan“, seiner gefälligen Ventiltriebabdeckung in Grillpfannenform wegen so genannt, in der die beiden 61Cubic-Inch und 74Cubic-Inch-Motoren daher kamen. Stehenden Ventilen waren nun hängende gefolgt. Die langen Schubstangen für die Ventilsteuerung dagegen, endeten nun in hydraulischen Spielausgleichern. Damals ganz klar den Vorgaben aus der Automobil-Industrie „abgekupfert“ „Knuckle-Head“ und „Shovel“ bildeten zwischenzeitlich eher zu vernachlässigende Bauformen, als wirkliche Innovationen in der Historie der „Big-Twins“
Die wirkliche Revolution in der Harley Davidson-Motortechnik war dann der „Evolution“. Die funkel-nagel-neue „Softtail“, die ab 1984 für knappe 20.000 Deutschmarks zu haben war, wurde als erstes Harley- Model mit diesem langhubigen Kraftpaket ausgeliefert. 1340 Kubikzentimeter trieben fortan diesen wirkungsvollen „Cruiser“ an.
Sielmann hatte sich sofort in dieses Prachtstück verliebt. Hatte er schon früher mal `nen gebrauchten „Fat-Bob“ sein Eigen genannt, ein eher unhandliches Trum, so sollte es nun diese überaus agile „Evo“ sein.
Nur, woher nehmen und nicht stehlen? Die 20 Mille? Bankkredit? Möglich, wenn es einen Bürgen gäbe! Und den gab es dann doch noch!

Sielmann, immer mal wieder im An- und Verkauf für Möbel und gebrauchte Teppiche jobbend, konnte den Inhaber und alten Kumpel von seiner Bonität überzeugen. Und schon bald saß Sielmann auf seinem Big-Bike und staunte nicht schlecht. Waren in früheren Zeiten die Oberschenkel von Harley-Fahrern nicht selten leicht angekokelt, war auf dieser „Schüssel“ nun beinahe alles völlig anders.
Unbändige Kraftentfaltung schon aus dem tiefsten Drehzahlkeller heraus, ließ den Bikern kaum noch genügend Zeit um Atem zu holen. Kein Wunder, dass so mancher sich im Jugendwahn befindende Zahnarzt oder Rechtsanwalt seine Kriegskasse plünderte, nur um am Wochenende mal endlich wieder die „Sau raus zu lassen“ oder, im günstigsten Falle, die Testosteron-geschwängerten Emotionen hoch kochen.
Gerapple, vom beinahe ungedämpft aufgehängten Motor früherer Baujahre, welches sich bis in die hinterste Schraube vom Heckfender übertrug, gehörte auf einmal ebenso der Vergangenheit an, wie die schon sprichwörtlich gelockerten Plomben des Bikers selber.
Auch der übermäßige Durst der Knatter-Kisten früher, war dank gut abstimmbarer Gasfabriken nun endlich „im Grünen Bereich“.
Gar nicht mehr zu übersehen, Harley Davidson, der letzte Mohikaner von einstmals beinahe 200 amerikanischen Motorrad-Klitschen, hatte seine Hausaufgaben gemacht.
Und ganz plötzlich war auch die Amerikanische Polizei wieder mit Amerikanischen Krafträdern „am Start“!
Die Übermacht der ehemaligen Kriegsgegner Japan und Deutschland auf dem Motorradmarkt hatte sich ganz plötzlich ziemlich relativiert.
Der UPS-Mann war scheinbar ganz schön abgehetzt. Sielmann sah Schweißperlen auf seiner Stirne glänzen. Er war ihm nun doch einige Schritte entgegengegangen. Beinahe erleichtert setzte der junge Mann das Paket ab und Sielmann verewigte sich auf dem ihm nun vor die Nase gehaltenen Computer-ähnlichen Gerät.

Die Ergotherapeutin war nicht vor Ort gewesen, als Sielmann mit deren Freund den Deal ausgehandelt hatte. Man wurde sich schnell einig und nachdem einige Scheinchen, sowie die Schlüssel und Papiere ihren Besitzer gewechselt hatten, war Sielmann auf die K7 gestiegen und nach Hause geknattert. Während der nur kurzen Fahrt konnte Sielmann dann einen ersten Check durchführen. Die Batterie war wohl wirklich neu an Bord. Die Vergaser müssten wohl nur ordentlich gereinigt werden. Das Anspringen hatte sich zunächst ein wenig schwer angelassen. Fehlzündungen bestätigten wohl die Existenz eines Motors, doch der schien zuerst ein wenig verschnupft zu sein. Na gut, wie hatte die Ergotherapeutin doch noch geflötet? „Mein Freund fährt auch Motorrad!“
Schien aber wohl doch schon etliche Jahre her zu sein. Jedenfalls auf diesem Hobel!

Na gut, Sielmann wusste es ja nun, er hatte soeben ein ganz heißes Eisen erworben. Eine Honda CB 750 K7! Ein echt seltenes Stück? Na ja, nicht ganz so selten, Lady! Und das mit dem Lenker war auch nicht gar so selten. Denn dieser Lenker war eindeutig krumm! Schon bei der kurzen Probefahrt auf dem Garagenhof kam Sielmann das Handling ein wenig spanisch vor. Doch das, was er auf die ziemlich platten Reifen geschoben hatte, schien doch eher irgendwie vom Lenkkopf herzukommen. Mit der Kiste war kaum richtig um die Kurve zu fahren. Diese Schaukel war scheinbar gar nicht wirklich zum Fahren gedacht. Die 82 muntere Pferdchen schienen in alle Richtungen zu wollen, nur nicht in die, in die Sielmann eigentlich musste.

Ein ziemlich schweißnasser Sielmann stellte schließlich die Kiste auf den Gehwegplatten vor dem Haus ab und ärgerte sich doch ein wenig, nicht vorher eine richtige Probefahrt gemacht zu haben. Zweifellos hätte er die Karre aber trotzdem gekauft.
Wenn das Moped auch keine wirkliche Unfall-Maschine war, so hatte sie doch ganz bestimmt mal einen kräftigen Umfaller hinter sich. Solch Wissen um die Vorgeschichte dieses Bikes, hätte Sielmanns Verhandlungsposition unbedingt verbessert und ihm dadurch auch noch einige knisternde Scheinchen erspart.
Scheinchen, die er sich nun wiederum vom Munde absparen würde müssen.
Zu den Auspufftüten dürfte wohl noch zumindest ein gut erhaltener und nicht verzogener Lenker dazu kommen müssen. Und vorsichtshalber auch noch ein funktioneller Lenkkopf. Gut, dass es eBay gab!

Sielmann schulterte den Karton und schnaufte damit die Kellertreppe hinunter, querte den Gang und marschierte bis zu dessen Ende. Dorthin, wo schon die K7 auf ihn wartete.
Er schloss die Augen und musste unwillkürlich lächeln, als das Gesicht dieser schnuckeligen Ergotherapeutin wieder vor seinem inneren Auge auftauchte.
„Easy Rider“? Entspannter Mopedfahrer? Oder doch eher, US-Südstaaten-Slang:
„Easy Rider, der, der es soeben noch mit den Weibern trieb“?
(Merke: Wird im Allgemeinen der Titel des Filmes „Easy Rider“ als Synonym für jemanden genutzt, der sich selber sucht und stattdessen ein (in den Fifties) noch total vernageltes Amerika findet, bedeutet „easy rider“ in den südlichen Staaten um New Orleans herum, nichts anderes als „Zuhälter“ –easy riders- = die, die Frauen auf den Strich schicken!)

(Soweit Sielmann und der Kupplungszug, wird fortgesetzt. Personen und Geschehnisse sind rein fiktiv. Ähnlichkeiten somit auch ganz wirklich nur recht zufällig!)

A.S. Juni 2012

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