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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

04.07.2005, © Vivienne

Ganz der Alte…

Britta wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
Sie hantierte hektisch in der Küche.
Holte das Kaffeeservice und deckte den Tisch.
Im Wohnzimmer lief das Fernsehgerät.
Motorengeräusch drang in die Küche.
Ja, der Grand Prix!
Britta presste die Lippen aufeinander.
Wenn Harald mal ins Fernsehen vertieft war…
Dann bemerkte er nichts.
Nicht ihre neue Frisur.
Und nicht die neue Bluse.
Sie hatte sich schön gemacht.
Extra für ihn.
Aber er bemerkte solche Dinge einfach nicht.
Nie!
Britta hielt inne.
Verhalten schluchzte sie auf.
Fünfzehn Jahre waren sie nun beisammen.
Aber er war am Anfang ihrer Beziehung nicht viel anders gewesen.
Oder nur wenig spürbar aufmerksamer.
Die große Liebe war rasch abgeflacht.
Und Harald legte Wert auf verschiedene Dinge.
Liebe Gewohnheiten musste man wohl sagen.

Die Sportschau etwa.
Auch im Urlaub.
Da fahren wir erst gar nicht weg.
Keine deutschen Sender in dem Hotel.
Stell dir das vor!
Britta hatte nur mit den Schultern gezuckt.
Es klang fast wie ein schlechter Scherz.
Aber eine Niederlage Schumachers bedeutete bisweilen eine mittlere Katastrophe.
Ebenso wie das Scheitern der deutschen Fußballer bei der letzten Europameisterschaft.
Harald war dann alles andere als umgänglich.
Sondern aggressiv und noch weniger lieblos.
Das Läuten an der Tür riss Britta aus dem Grübeln.
Kannst du aufmachen?
Britta bemühte sich fröhlich zu klingen.
Harald, kannst du bitte die Tür öffnen?
Ich glaube, dein Bruder und seine Frau sind schon da.
Schweigen aus dem Wohnzimmer.
Harald?
Britta ignorierte das erneute Läuten.
Harald, ist was los?
Sie erschrak, als sie ins Wohnzimmer trat.
Harald war vornüber gesunken.
Sein Gesicht schmerzverzerrt.
Er rang nach Luft…

Britta saß mit starren Gesichtszügen im Spital.
Ihr Schwager redete begütigend auf sie ein.
Vielleicht ist es nicht so schlimm…
So sag doch was, Britta.
Kopf hoch!
Britta nahm seine Stimme nicht wirklich wahr.
Haralds Anfall sah wie ein Herzinfarkt aus.
Ihr Vater hatte genau so ausgesehen, als er gestorben war.
Auch er hatte nach Luft gerungen…
Britta konnte nicht weinen.
Aber in ihr hatte sich alles verkrampft.
Sie hatte so schlimm über ihn gedacht.
Und nicht geahnt, was er im Nebenzimmer durchmachte.
Hätte nicht Haralds Bruder und seine Frau geklingelt…
Ja, er war furchtbar.
Ihr Harald.
Und sie hasste seine Sportsendungen.
Aber sie wollte ihn nicht verlieren.
Das wusste sie jetzt ganz genau.

Einige Untersuchungen würden noch folgen.
Es ist noch nicht klar, was er hat.
Der Arzt im Krankenhaus war kurz angebunden gewesen.
Wollte er nichts sagen?
Britta versuchte, sich sein Gesicht in Erinnerung zu rufen.
Wollte er nichts sagen?
Oder hatte er wirklich keine Zeit gehabt?
Lauter Notfälle im Spital?
Britta riss sich aus den Gedanken.
Vor morgen früh würde sie nichts Genaueres erfahren.
Mechanisch räumte sie daheim den Tisch ab.
Stellte das ungebrauchte Service wieder zurück in den Kasten.
Deckte den Kuchen mit Folie ab.
Verstaute die Brote im Kühlschrank.
Die Routine tat ihr gut.
Keine Gedanken, die wehtaten.
Sie begann abzuwaschen.
Trocknete ab.
Dann schaltete sie das Fernsehgerät an.
Die Nachrichten.
Tatsächlich!
Schuhmacher hatte gewonnen!
Das würde Harald sicher freuen.
Dann nickte Britta auf der Couch ein.

Am Morgen fuhr sie gleich in die Klinik.
Wieder musste sie warten.
Harald durfte sie nicht sehen.
Er hatte gerade eine Untersuchung.
Britta kaute an ihren Fingernägeln.
Dabei hatte sie sich diese Unart als Teenager abgewöhnt.
Jungen Männern gefallen abgenagte Nägel nicht!
Der Satz ihre Mutter ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Sie wurde blass, als der Arzt auf sie zutrat.
Das Herz ihres Mannes ist in Ordnung.
Kein Infarkt.
Wir vermuten eine Erkrankung des Magens.
Vielleicht ein Geschwür.
Hatte er solche Schmerzen schon öfter?
Britta zermarterte sich den Kopf.
Beim Grillfest der Nachbarn neulich war er auch plötzlich blass geworden.
Und hatte nichts mehr gegessen….
Darf ich meinen Mann sehen?
Harald lag bleich in seinem Bett.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Britta.
Schön dass du gekommen bist.
Britta versuchte Optimismus auszustrahlen.
Schumacher hat gewonnen…

Zwei Tage später saß Harald schon aufrecht im Krankenbett.
Er rührte in seiner dünnen Suppe.
Jetzt hätte ich eigentlich schon wieder mehr Hunger.
Ein Magengeschwür!
Und ich habe so lange nichts davon gemerkt!
Gott sei Dank ist so was heute keine große Sache mehr.
Er strahlte Britta an.
Aber du bist da.
Wie jeden Tag.
Sein Lächeln tat Britta gut.
So hatte er sie lange nicht mehr angesehen.
Und er war schmal geworden.
Und noch immer sah er sehr blass aus.
Die letzten Tage hatten ihn ein paar Kilos gekostet.
Aber es stand ihm gut.
Fand Britta.
Er sah besser aus als noch vorige Woche.
Soll ich dir was zum Essen mitbringen?
Ihre Stimme klang trotzdem leicht besorgt.
Harald winkte ab.
Lass gut sein.
Heute Mittag bekomme ich Brathuhn.
Man lässt mich hier schon nicht verhungern.

Motorengeräusch tönte aus dem Wohnzimmer.
Britta war dabei, den Tisch zu decken.
Harald, der Kaffee ist fertig.
Kommst du zu mir in die Küche?
Haralds Antwort war ein unverständliches Brummen.
Es klang etwas verschnupft.
Britta schmunzelte.
Harald?
Haralds Stimme zitterte vor Empörung.
Alonso führt!
In seinem Tonfall schwang eine Nuance von Majestätsbeleidigung.
Britta grinste nun über das ganze Gesicht.
Dann versäumst du ja nichts.
Der Kaffee wird kalt!
Wieder ärgerliches Gemurmel aus dem Wohnzimmer.
Britta schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
Rührte um.
Nahm sich ein Stück Kuchen auf den Teller.
Gott sei Dank war Harald wieder daheim.
Sie nickte fast zufrieden.
Und Gott sei Dank war er wieder ganz der Alte….

Vivienne

 

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