„Wer baut Wien?“ – Ansichtssache

Die Stadt Wien wurde erst kürzlich zum sechsten Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. In der „Mercer“-Studie werden 39 Faktoren rund um das Sozial- und Gesundheitssystem, Freizeitgestaltung, Infrastruktur, Umwelt und vieles andere bewertet. Es kann beobachtet werden, dass ein solches Ergebnis die regierenden Politiker zu manch Eigenlob verleitet während es bei der Opposition auf kritische Betrachtungen stößt.

In der Bundeshauptstadt leben Anfang des Jahres 2015 rund 1,79 Millionen Menschen. Die Bevölkerungszahl ist im Steigen begriffen und könnte bis 2030 die Zwei Millionen Grenze überschreiten. Eine solche Entwicklung stellt die Stadterweiterung und Wohnraumschaffung vor eine große Herausforderung. Während die Nachverdichtung allenfalls zögerlich vorangetrieben wird sollen nach Vorstellung der Wiener Stadtregierung neue Stadtteile auf die „grüne Wiese“ gestellt werden. In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren sollen zahlreiche neue Stadtteile entwickelt und mehrere tausend zusätzliche Wohnungen gebaut werden. Die Umsetzung der Projekte im noch unerschlossenen Gebiet erfordern ein behutsames Vorgehen und die Errichtung der notwendigen Infrastruktur.

Der österreichische Raumplaner und Stadtentwicklungsexperte Reinhard Seiß hat seine jahrzehntelangen Beobachtungen bereits 2007 in dem Buch „Wer baut Wien?“ veröffentlicht, welches 2013 in 4. Auflage erschienen ist. Es war mir stets ein Anliegen die Stadtplanung in meiner Heimatstadt möglichst aktiv mitzuverfolgen. Die Menschen haben verschiedene Bedürfnisse und die Wohnbauprojekte sollten diesem Umstand bestmöglich gerecht werden. In meiner heutigen „Ansichtssache“ möchte ich einige kritische Betrachtungen zur bisherigen Stadtentwicklung aus dem Buch kurz vorstellen.

Donau City

Die Pläne für eine EXPO 1995 wurden bei einer Volksbefragung 1991 mehrheitlich abgelehnt. Daraufhin begannen die Detailplanungen für einen neuen, multifunktionalen Stadtteil zwischen UNO City und Neuer Donau um das für die Weltausstellung vorgesehene Baugebiet anderweitig nutzen zu können . Die bereits vorhandene U-Bahnstation sowie die relative Nähe zur Innenstadt stellten gute Grundvoraussetzungen dar.

In dem Buch wird bemängelt dass von Seiten der Stadtpolitik die Chance vergeben wurde „Wiens erstes Hochhausviertel als räumliches und bauliches Gesamtwerk zu gestalten und die urbanistische Verantwortung den Investoren und Bauträgern überlassen wurde“. Heute finden sich in der Donau City zahlreiche Hochhäuser, wobei der größere Teil für Büronutzung vorgesehen ist. Erst 2013 wurde der „DC Tower“ fertiggestellt, der mit 220 Metern der höchste Wolkenkratzer der Stadt ist. Die Donau City wird oftmals als „Betonwüste“ bezeichnet und ihre unzureichenden Freiräume sowie die durch Hochhäuser bedingten Windböen kritisiert.

Wienerberg City

In den offiziellen Aussendungen der Stadt Wien wurde die Wienerberg City im 10. Bezirk am Beginn dieses Jahrhunderts als „Wohnparadies“, „Topprojekt“ und „qualitative Weiterentwicklung“ beworben. Die meisten Fachleute sahen die Bebauung des Wienerberg mit Wohn- und Bürotürmen hingegen schon damals als einen stadtplanerischen Sündenfall. Die bereitwillig erfolgte Umwidmung und damit verbundene massive Aufwertung der fernab jeder S-, U- oder Straßenbahn gelegenen Grundstücke widersprach vehement dem geltenden Verkehrskonzept. Die Wienerberg City entstand in den Jahren 2002 bis 2005 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Business Park Vienna und den Vienna Twin Towers.

Die vier besonders eng aneinandergebauten Wohntürme mögen manch tolle Ausblicke ermöglichen, wohl aber nur in den freifinanzierten Eigentumswohnungen der obersten Etagen. Die Bauordnung schreibt für neu errichtete Wohnbauten mit mehr als 15 Einheiten die Errichtung eines Spielplatzes im freien vor. Die Wienerberg City mit 1.100 Wohnungen wies keine einzige derartige Spielgelegenheit auf, sodaß von der Bezirksverwaltung später ein Spielplatz im angrenzenden Erholungsgebiet errichtet werden mußte. Die öffentliche Verkehrsanbindung bleibt bis heute mangelhaft, doch wurde vor kurzem für das Jahr 2027 eine U-Bahn Anbindung für den zweitgrößten Hochhauscluster von Wien projektiert.

Monte Laa

Drei Kilometer östlich der Wienerberg City wurden in den Jahren bis 2008 Büro- und Wohnflächen für bis zu 4.000 Beschäftigte und 3.000 Bewohner errichtet. Auch bei Monte Laa widersprach die periphere Lage mit fehlender sozialer und kultureller Infrastruktur einer allzu intensiven baulichen Nutzung. Da der Bauplatz durch die sechsspurige Stadtautobahn A23 durchschnitten wird entschloß man sich zu deren Überplattung, auf welcher gebaut werden konnte. Der damit verbundenen Lärm- und Luftschadstoffbelastung wurde offenbar keine große Bedeutung beigemessen. Mittlerweile wird die U-Bahn in die Umgebung von Monte Laa verlängert, doch wäre es wohl effizienter solche Faktoren bereits vorab zu berücksichtigen um auf nachträgliche Korrekturen verzichten zu können.

In weiteren Kapiteln behandelt der Raumplaner Reinhard Seiß die Projekte Millenium City, Gasometer City, Wien Mitte und Hauptbahnhof. Weiters werden Betrachtungen unter anderem zum Hochhauskonzept, dem sozialen Wohnbau, den Einkaufszentren sowie der Grünraumpolitik vermittelt. Die nach 2007 realisierten Projekte finden auch in der Neuauflage wenig Erwähnung. Die Bebauung des Nordbahngeländes im 2. Bezirk – wo ich selbst seit 2009 lebe – empfinde ich als durchaus gelungen und auch die Bauvorhaben beim Hauptbahnhof weisen gute Vorzeichen auf. Mit Interesse werde ich die Entwicklung der Seestadt Aspern im 22. Bezirk verfolgen, in welcher später über 20.000 Menschen wohnen und arbeiten sollen.

Wie der Titel des Buches „Wer baut Wien?“ schon durchaus signalisieren soll wird die Stadterweiterung oftmals von Investoren und Bauträgern zu deren Gunsten beeinflußt. Auch wenn diese wichtige Partner in Wohnbauprojekten sein mögen sollte sich die Politik keinesfalls aus ihrer stadtplanerischen und infrastrukturellen Verantwortung entlassen sehen.

Pedro

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Wer baut Wien?
Hintergründe und Motive der Stadtentwicklung Wiens seit 1989
von Reinhard Seiß
Verlag Anton Pustet Salzburg, 4. Auflage 2013
Broschiert, 216 Seiten, € 24,00

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