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20.11.2005, © Vivienne

Fleischskandale – und was dahinter steckt…

Deutschland wird zur Zeit von ein paar handfesten Fleischskandalen geschüttelt, erst heute (Samstag, 19.11., Anmerkung der Redaktion) wurden in Gelsenkirchen wieder Tonnen von verdorbenen Fleisch gefunden, ein Teil davon war schon im Umlauf… Fachleute vermuten in dem Zusammenhang immer öfter, dass solche Skandale ohnedies in Fleisch verarbeitenden Betrieben an der Tagesordnung sind und dass die Realität noch viel übler aussieht, als man nach solchen grausigen Entdeckungen meinen könnte. Etwas, das ein Freund von mir, der in einem Fleischereigroßhandel gearbeitet hat, selber miterlebt hat. Wie er mir erzählt hat – seine „Karriere“ dort liegt in etwa zehn Jahre zurück – kann er nicht nur bestätigen, was man so hört, er kann mit einigen Details aufwarten, nach denen man liebend gerne zum Vegetarier wird.

Wer von Ihnen, liebe Leser, isst gerne Salami? Oder Kantwurst und Blumencervelat? Ich versichere Ihnen, der Appetit auf diese Würste würden schnell vergehen, wenn Sie ahnen würden, wie oft solche Würste in Fleischereien „geputzt“ (sprich, von nicht gewünschtem Schimmel befreit) werden. Interessiert es Sie vielleicht, wie dabei vorgegangen wird? Man nimmt Bürsten, die leicht befeuchtet werden, und reinigt die Würste in etwa so, wie man Schuhe putzt. Die Handbewegung ist fast dieselbe. Ist Ihnen schon schlecht, oder sind Sie hart im Nehmen? Das Umetikettieren von Würsten aller Art steht in Fleischereien an der Tagesordnung. Der Freund von mir hat Derartiges seinerzeit auch machen müssen. Manchmal ist aber die Fleischhauerei, die die Würste produziert hat, selber gekommen, hat die Würste zum Umetikettieren geholt und dann wieder abgeliefert…

Haben Sie, liebe Leser, schon einmal den Lieferwagen einer Fleischhauerei von innen gesehen? Natürlich sind nicht alle Fleischhauereien gleich, aber so mancher Lieferwagen stinkt im Sommer innen bestialisch und wird von dicken Fleischfliegen geradezu bevölkert. Der Freund hat mir das nicht nur glaubhaft versichert, auch habe ich selber von anderen ehemaligen Fleischereimitarbeitern so manches ekelhafte „produktionstechnische“ Detail vernommen. Etwa, wie sich einmal eine Ratte in die Wursterei verirrte und danach nicht mehr gesehen wurde, weil sie mitverarbeitet wurde? Wenn Ihnen jetzt schlecht ist, liebe Leser: keine Märchen, nur harte Facts, natürlich besonders gelagerte Fälle – nicht jeder Betrieb ist gleich, und es soll nicht der Eindruck erweckt werden, ich möchte hier eine Branche pauschal verurteilen. Nichts ist mehr ferner, aber gerade in der Lebensmittelindustrie passiert leider sehr viel, das einem den Appetit für längere Zeit ordentlich verdirbt…

Wie ist so etwas möglich? werden Sie sich, liebe Leser, nach dem ersten Ekel sicher nicht unberechtigt fragen. Gibt es keine Lebensmittelpolizei? Gibt es schon, aber dort arrangiert man sich, man darf es ja fast nicht sagen, aber der erwähnte Großhandelsbetrieb ist jedes Mal problemlos davongekommen. Die Branche ist bei uns zweifellos angeschlagen, speziell nach dem EU-Beitritt vor zehn Jahren. Was aber nicht die einzige Erklärung dafür sein kann und darf, dass Hygienestandards bisweilen mit Füßen getreten werden. Und auch die Billigkonkurrenz im Supermarkt sollte nicht herhalten müssen um zu verbrämen, dass obig angeführte Missstände, die mit Sicherheit nicht erfunden wurden, passiert sind und nach wie vor passieren. Erschütternd ist in dem Zusammenhang, wie wenig Rücksicht dabei auf die zahlenden Kunden genommen wird, die ja die fertige Ware, manchmal mit unpassenden Zutaten „verfeinert“, konsumieren sollen. Vom Ekel einmal abgesehen: die gesundheitlichen Probleme, die davon herrühren können, scheinen manche Fleischproduzenten wirklich überhaupt nicht zu berühren…

Besagter Freund hat einige Jahre in dem Großhandelsbetrieb, den ich eingangs erwähnt habe, verbracht. Zuletzt haben ihm Fleisch- und Wurstwaren deswegen nicht mehr geschmeckt, weil ihm das Wissen um die Gegebenheiten den Appetit verdorben hat. Mich selber haben seine Erzählungen veranlasst, Produkte so manches großen Fleischers bis auf den heutigen Tag zu meiden. Und bisweilen ertappe ich mich dabei, wenn ich ein Leberkäsesemmerl esse (was ohnedies selten genug vorkommt), dass ich mich frage, was dafür wohl verarbeitet worden ist. Meistens fällt mir dann der legendäre Ostbahnkurti ein: I will’s gar nicht wissen, nicht so genau… Stimmt schon, es ist besser, wenn wir nicht alles wissen. Aber nachdenken sollten wir zumindest schon bisweilen, ob wir nicht weniger Wurst und Fleisch essen sollten – wenn schon nicht aus gesundheitlichen Erwägungen heraus, dann aus den Überlegungen heraus, was wir denn wirklich damit zu uns nehmen könnten…

Vivienne

 

 

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