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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

07.06.2005, © Vivienne

Der Jahrestag

Anna zog den Vorhang in ihrem Schlafzimmer zu.
So, dass es ganz dunkel war.
Immer wieder wischte sie sich Tränen vom Gesicht.
Dann setzte sie sich auf ihr Bett.
Verfiel in hemmungsloses Schluchzen.
Nein, sie wollte nicht mehr.
Sie hatte keine Kraft mehr.
Anna vergrub ihr Gesicht im Polster.
Ihr Gesicht war vom Weinen entstellt.
Gerötet und Geschwollen.
Die Tränen fühlten sich im Gesicht ganz heiß an.
Vor ein paar Tagen…
Sie hatte geglaubt, sie hätte es geschafft.
Endlich.
Sie hatte mit einer Freundin ganz normal darüber reden können.
Was alles geschehen war.
Wie es passierte.
Es waren drei Typen gewesen…

Anna setzte sich auf.
Sie war keine gängige Schönheit.
Andere würden sagen.
Sie ist fett.
Größe 54 ist halt kein Gardemaß.
Aber sie war immer recht zufrieden gewesen.
Mit sich und ihrem Leben.
Auch wenn sich die Burschen nicht so für sie interessierten.
Im Grunde hatte sie immer viel gelacht.
War immer für einen Spaß zu haben gewesen.
Und viele Mädels waren immer gern zu ihr gekommen.
Sich auszureden.
Oder einfach auf einen Tratsch.
Ja.
Sie war immer ein Mama-Typ gewesen.
Zum Knuddeln und Kuscheln.
Eine, der man die Sorgen anvertrauen konnte…
Aber das musste wohl hundert Jahre her gewesen sein.
Oder in einem anderen Leben…

Anna packte das Skriptum in den Rucksack ein.
Es war spät geworden.
Heute hatte sie keine Lust noch auf ein Bierchen fort zu gehen.
Sie war müde.
Und morgen früh wieder das öde Seminar…
Nein.
Heut fuhr sie lieber gleich in ihre Bude.
Ein bisschen fernsehen.
Dann hinlegen.
Sie verließ den Hörsaal.
Rund um die Uni war es noch laut.
Lachen und Reden erfüllte die laue Nacht.
Der Kiesweg knirschte unter Annas Füßen.
Fünf Minuten bis zur Haltestelle des Busses.
Anna blickte auf die Uhr.
Der Bus musste doch gleich kommen.
Unerwartet fühlte sie sich in die Mangel genommen.
Jemand umfasste sie.
Hielt ihr den Mund zu.
Anna versuchte sich zu wehren.
Ein Schlag auf den Kopf machte sie benommen.

Anna lag auf dem Boden.
Jemand hielt sie fest.
Und ein par andere begannen sie auszuziehen.
Es waren zwei.
Anna versuchte zu schreien.
Sie schlug um sich.
Wieder ein Schlag auf den Kopf.
Der eine Typ stopfte ihr ein Taschentuch in den Mund.
Er lachte hämisch.
Jetzt hört dich keiner.
Und wehe dir du rührt dich noch einmal.
Anna blickte um sich.
Wo befand sie sich da?
Das Lachen der anderen Studenten war noch immer zu hören.
Sie konnte nicht weit weg von der Uni sein.
Mittlerweile lag sie nackt da.
Sie hatte sich nicht mehr getraut sich zu bewegen.
Ihr Kopf schmerzte.
Und sie bekam fast keine Luft wegen des Knebels.
Einer der Burschen öffnete den Gürtel seiner Hose.
Die Jeans glitten nach unten.
So haltet sie jetzt fest.
Ich mach den Anfang…

Anna hatte keine Ahnung wie lange sie da gelegen war.
Die halbe Nacht hatten sich die Burschen an ihr vergangen.
Immer und immer wieder.
Ihr Unterleib schmerzte furchtbar.
Sie war noch Jungfrau gewesen.
Und jede der Vergewaltigungen fühlte sich an wie das stete Bohren in einer offenen Wunde.
Anfangs hatte sie versucht sich zu wehren.
Aber die Burschen waren stärker.
Sie waren ja auch immer zu zweit.
Und sie genossen es, sie zu demütigen.
Sie konnte sich kaum erinnern, wann sie von ihr abließen.
Irgendwann ließ der Schmerz in ihrer Vagina nach.
Anna begann zu weinen.
Sie fühlte sich schmutzig.
Und sie schämte sich.
Nackt und Blut verschmiert lag sie da.
Und noch immer den Knebel im Mund.
Anna wollte sterben.

Der Polizist musterte den jungen Mann.
Er stand hemdsärmlig im Vernehmungszimmer.
Dann winkte er seinem Kollegen.
Du laut der Beschreibung.
Der könnte auch für die Vergewaltigung an der Studentin in Frage kommen.
Muss ein Jahr her sein.
Oder so.
Ich such mal den Akt raus.
Ich hatte ihn letzte Woche erst in der Hand…
Das Bürschchen ist doch einschlägig vorbestraft.
Das möchte ich mir genauer ansehen.
Eine halbe Stunde später betrat er das Verhörungszimmer.
Schickte den Kollegen hinaus.
Der junge Mann war etwas verunsichert.
Er gab sich cool.
Aber der erfahrene Polizist durchschaute ihn.
Der hat was zu verbergen.
Fünfzehn Minuten später weinte der Bursch.
Wir wollten doch nur unseren Spaß haben.
Das war nicht bös gemeint.
Außerdem war sie sowieso fett.
Die soll froh sein, dass wir sie gef…t haben!
Sonst hätte es ohnedies keiner gemacht!
Der Kriminalbeamte stand auf.
Das darfst du ihr ins Gesicht sagen.
Wir holen sie nämlich auf’s Revier.
Zur Gegenüberstellung.
Trotzig drehte sich der Bursche weg.

Anna hatte eine Rasierklinge in der Hand.
Systemtisch begann sie ihre Pulsadern aufzuschneiden.
An den Armgelenken.
Am Hals.
Bald färbte sich das Laken rot.
Und die Bettwäsche.
Anna legte sich hin.
Sie fühlte sich müde.
Schloss die Augen.
Das Telefon läutete.
Anna bewegte sich nicht.
Sie würde nie mehr aufstehen.
Sie musste auch nicht.
Sie wollte nur tot sein.
Nichts mehr wissen.
Vom vergangenen Jahr.
Und von jener Nacht.
Weg sein.
Nicht mehr existieren…
Das musste so schön sein.
Kein Schmerz mehr.
Keine Tränen.
Einfach Frieden…

Vivienne

 

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