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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

09.06.2005, © Vivienne

Haben wir uns noch etwas zu sagen?

Wir liegen im Bett.
Nebeneinander.
Wir sehen uns kaum an.
Starren nur auf das Fernsehgerät.
Irgendwann schlafe ich ein.
Während du Fußball schaust.
Und ab und zu zufrieden grunzt.
Oder auch schimpfst!
Scheiß Schiri!
Manchmal stehst du noch auf.
Und holst dir ein Bier.
Manchmal bekomme ich es mit.
Manchmal nicht.
Aber das Fernsehgerät läuft oft, wenn ich einschlafe…

In der Früh werke ich schon lange in der Küche.
Die Kaffeemaschine läuft.
Ich stelle Brot auf den Tisch.
Etwas Wurst und Käse.
Wir sitzen nebeneinander.
Teilen uns die Zeitung.
Daneben läuft das Radio.
Wir reden Belangloses.
Und schweigen viel.
Du musst heute lange arbeiten.
Ich werde mit einer Kollegin ins Kino gehen.
Man sieht sich dann.
Am späteren Abend.
Früher hast du mich morgens geküsst.
Zur Begrüßung.
Sehr zärtlich.
Das geht mir durch den Kopf.
Und manchmal bekamen wir im Bad noch Lust aufeinander.
Kein Frühstück.
Aber ein spritziger Einstieg in den Tag.
Besser als Champagner…
Ich stehe auf.
Gehe ins Bad.
Zähne putzen.
Und sehe mich im Spiegel an.
Ich sehe öde aus.
Anders kann ich es nicht beschreiben.
Tschüs!
Ich hör’ dich noch, bevor die Tür ins Schloss fällt…

Ich fahre mit dem Bus in die Arbeit.
Ich stehe unter lauter Leuten, die auch in die Arbeit müssen.
Manche sehen unausgeschlafen aus.
Andere emotionslos.
Manche ärgern sich schon in der Früh.
Sie schimpfen.
Oder ihr Gesicht verrät sie.
Aber die suche ich nicht.
Ich suche jemanden, der so aussieht wie ich.
Angeödet von der erkalteten Liebe.
Stereotypes Leben.
So wie ich.
Und es gibt sie.
Die Frau weiter hinten.
Sie blickt nur ins Leere.
Kein Leben in ihren Augen.
Oder der große Mann halb hinter mir.
Man sieht ihm an:
Es liebt ihn keiner.
Dabei trägt er einen Trauring am rechten Ringfinger.
Ja, ich bin nicht allein mit meinem Los.
Aber das macht es nicht einfacher…

Nach der Arbeit sitze ich mit der Kollegin im Kino.
Eine belanglose Komödie läuft.
Ich kann mich nicht konzentrieren auf den Streifen.
Der junge Mann nimmt die junge Frau in den Arm.
Sie küssen sich.
Wild.
Stürmisch.
Bin ich je so geküsst worden?
Ich kann mich nicht erinnern.
Wann hast du mich das letzte Mal geküsst?
Letzte Woche?
Könnte sein.
Ich glaube, weil Rapid Wien Meiser wurde.
Das sind Höhepunkte.
Ich spüre Verbitterung.
Wir liegen nebeneinander.
Wir haben keinen Sex mehr.
Und wenn, dann nur gelegenheitshalber.
Dann, wenn du möchtest.
Zur Krönung einer guten Fußballspiels etwa.
Sonst nicht.
Deine Art, mit mir dein Leben zu teilen.

Der Film läuft an mir vorbei.
Wie lange sind wir beisammen?
Fast acht Jahre.
Kinder haben wir keine.
Du wolltest keine.
Und ich damals auch nicht…
Vielleicht ein Fehler.
Es gibt nichts, das uns verbindet.
Wir leben aus Gewohnheit zusammen.
Aber eben nebeneinander.
Und nicht mehr miteinander.
Ich weiß nicht, was mit uns passiert ist.
Vielleicht haben wir auch nie zusammengepasst.
Das bisschen Leidenschaft war kein fester Kitt.
Sie ist längst verpufft.
Und wenn ich mich frage, wie es weitergehen soll mit uns…
Wie denn?
Wir haben uns nichts mehr zu sagen.

Es wird hell im Kino.
Die Leute stehen auf.
Meine Kollegin flüstert mir etwas zu.
Sie lacht über das ganze Gesicht.
Aber ich verstehe sie nicht.
Mein Kopf hört nicht zu.
Der Film ist aus.
Aber ich will nicht heim.
Nicht heim zu dir.
Nicht zurück in eine Einsamkeit die mich quält.
Umso schlimmer, da ich sie mit dir teile…

Vivienne
 

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