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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

15.09.2005, © Vivienne

Ich liebe dich wie du bist

Gerd sah auf die Uhr.
Wo blieb Marina?
Er presste die Lippen aufeinander.
Sie hatte sich wohl wieder vertratscht.
Mit Kerstin.
Oder weiß Gott wem!
Marina konnte Stunden reden!
Ohne Pause im Grunde.
Gerd schnaufte durch.
Peinlich war es ihm oft gewesen.
Wenn sie sich bei Freunden über ihre Firma ausließ!
Oder einfach über die Stars und Sternchen schwatzte.
Es nervte ihn schon so.
Eigentlich hasste er es.
Mehr als er in Wort kleiden konnte.
Und heute wollte er zum Kegeln.
Mit seinen Leuten.
Aber Marina kam nicht heim.
Ausgerechnet heute!
Und er konnte die beiden Kinder nicht allein lassen.
Immer dasselbe!
Sie war so unverlässlich!
Bisweilen brachte es ihn zur Raserei.
Gerd blickte auf die Uhr.
Ob er die Nachbarn fragen konnte?
Dass sie ein Auge auf die Kinder werfen würden?
Bis Marina kam?

Das Telefon läutete.
Gerd nickte.
Das war sicher Marina.
Sie würde sich entschuldigen.
Wortreich.
Auch das war nichts Neues.
Unwirsch nahm er den Hörer.
Ja?
Gerd verstummte.
Das Krankenhaus.
Marina war in einen Unfall verwickelt worden…
Gerd starrt geradeaus.
Vergas, den Hörer aufzulegen.
Sein Herz raste.
Die Kegelpartie war vergessen.
Mein Gott!
Was war ihr nur passiert?
Zehn Minuten später saß er im Wagen.
Die Tochter der Nachbarin kümmerte sich um die Kleinen.
Gerd konnte kaum klar denken.
Nicht auszudenken!
Wenn er nicht daheim gewesen wäre?
Wenn er schon kegeln gewesen wäre?
Er wüsste es nicht einmal.
Nichts von dem Unfall.
Er würde sich lauthals äußern über Marina.
Und ihre Unverlässlichkeit.
Die Kumpels hätten gelacht.
Und dumme Witze gerissen.
War ja nicht das erste Mal.
Dass er, Gerd, sich über seine Frau beklagte.
Beklagen?
Waren es nicht im Grunde Kleinigkeiten die ihn aufregten?
Banalitäten?
Hatte Marina je ein Wort über seine Kegelrunde verloren?
Oder seine Ausflüge mit dem Tennisverein?
Hatte sie nie.
Sie redete halt.
Gern und viel.
War das schlimm?

Gerd trat auf’s Gas.
Er war viel zu schnell unterwegs.
Weiter vorne befand sich oft eine Radarfalle.
Mal abgesehen davon.
War es notwendig sich auch noch eine Radarstrafe aufzuhalsen?
Er durfte jetzt nicht zu viel an Marina denken.
Das fehlte gerade noch.
Oder er, Gerd, womöglich auch noch in einen Unfall verwickelt!
Gerd griff sich mit der Hand auf die Stirn.
Sie war schweißnass.
Er fühlte den Schweiß am ganzen Körper.
Vor allem am Rücken.
Per Knopfdruck öffnete er das Fenster.
Einen Spalt.
Da vorn war das Krankenhaus.
Gerd fand einen Parkplatz in der Nähe.
Er stellte den Motor ab.
Sah seine Hände an.
Sie zitterten.

Gerd stand am Eingang.
Eine Schwester hatte ihn zu beruhigen versucht.
Nehmen Sie Platz.
Dr. Maringer kommt gleich.
Gerd wollte nicht sitzen.
Gerd wollte wissen was mit seiner Frau war.
Mit Marina.
Plötzlich hörte er seinen Namen.
Gerd drehte sich um.
Der Arzt blickte ihn prüfend an.
Kommen Sie mit.
Gerds Lippen waren trocken.
Er konnte nicht sprechen.
Obwohl ihm die Frage auf der Zunge brannte.
Der Arzt öffnete eine  Zimmertür.
Marina saß auf dem Bett.
Den linken Unterarm in Gips.
Ein paar Schürfwunden im Gesicht.
Gerd!
Sie richtet sich auf.
Der Arzt schüttelte den Kopf.
Bleiben Sie liegen!
Er wandte sich an Gerd.
Speiche gebrochen.
Gehirnerschütterung.
Ein paar Prellungen.
Halb so wild.
Sie soll ein paar Tage zur Beobachtung bleiben…

Gerd hörte den Arzt.
Sah aber nur Marina.
Seine Marina.
Die ihn todunglücklich ansah.
Tränen im Gesicht.
Tut mir leid.
Ich wollte nur über die Straße laufen.
Da habe ich das Auto übersehen.
Es tut mir leid…
Marina schluchzte.
Jetzt kannst du nicht kegeln gehen.
Meine Schuld.
Gerd trat zu ihr.
Seine Hände zitterten wieder.
Vor Erleichterung.
Er umfasste mit den Händen ihr Gesicht.
Begann sie zu küssen.
Immer und immer wieder.
Das macht doch nichts.
Ist doch ganz egal.
Dass dir nur nichts wirklich Schlimmes passiert ist.
Dass es dir gut geht…
Hörst du?
Nur das ist wichtig!

Vivienne

 

 

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