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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

15.09.2005, © Vivienne

Ich will nicht! 

Pezi arbeitet die Kundenanfragen durch.
Fieberhaft.
Krampfhaft.
Sie konnte sich kaum konzentrieren.
Ihr Puls hämmerte in ihren Schläfen.
Noch immer.
Zwei Tage hatte sie kein Auge zubekommen.
Heute schon der dritte Kaffee.
Hat jemand ein Kopfwehpulver da?
Ihre eigene Stimme klang fremd.
Nervös.
Fast fahrig.
Steffen drehte sich zu ihr um.
Frag doch Doris.
Die ist immer ausgestattet.
Hat immer eine halbe Apotheke mit dabei.
Er trat näher.
Dir geht es aber nicht gut.
Du schwitzt ja!
Wirst du krank?
Pezi schüttelte den Kopf.
Ich weiß es nicht.
Aber es stimmt schon.
Ich fühl mich nicht besonders.
Katrins Stimme dröhnte unerwartet in ihrem Ohr.
Pezi?
Du sollst Vroni zurückrufen.
Dringend.
Ich sagte es dir doch vorhin schon.
Pezi traf die Stimme der Kollegin wie ein Messerstich.
Ich habe jetzt wirklich keine Zeit!
Sagt ihr das einmal!
Steffen sah sie betroffen an.
Schon gut.
Ich glaube, du solltest eine Pause machen!

Pezi stand im WC.
Es würgte in ihrem Hals.
Schon die ganze Zeit.
Aber sie würde nicht erbrechen.
Gar nichts.
Wie schon am Wochenende nicht.
Sie füllte das Glas mit Wasser.
Schluckte die Tabletten von Doris.
Immer nur eine!
Sie lachte unvermittelt bitter über deren Fürsorglichkeit.
Trotzdem hatte sie gleich zwei genommen.
Vielleicht wirkte wenigstens die doppelte Dosis.
Ein paar Momente atmete sie tief durch.
Sie musste wieder an Karl denken.
Ihren Mann.
Und wie er sie verlassen hatte.
Wegen der Nachbarsfrau.
Welch eine Demütigung!
Über zwei Jahre hatte sie nichts bemerkt.
Nicht das Geringste.
Heute war einer dieser Tage.
An denen sie alles wieder doppelt schmerzhaft spürte.
Was damals passiert war.
Wie Karl sie angesehen hatte.
Wie ein kleiner Bub.
Wir haben uns verliebt…
Wir können nichts dafür.
Bitte.
Niemand wollte dir wehtun…
Pezi presste ihre Lider zusammen.
Ein paar Tränen flossen über ihre Wange. 

Die Tür schwang auf.
Vroni stand vor ihr.
Unerwartet.
Patrizia!
Pezi presste ihre Hände zusammen.
Drehte sich weg.
Sah in den Spiegel vor sich.
Das Gesicht einer fremden Frau blickte ihr entgegen.
Geh!
Verdammt noch mal geh!
Hast du gehört?
Und ruf nicht mehr an!
Zitternd beugte sie sich über das Waschbecken.
Sie spürte Patrizias Hände an ihren Schultern.
Sanft einschmeichelnd.
Unsagbar zärtlich.
Und ihre Stimme.
Patricia.
Es tut mir leid.
Ich wollte dich nicht überrollen.
Es ist über mich gekommen.
Ich spür es doch schon so lange…
Pezi krümmte sich.
Dann riss sie sich los.
Ließ Vroni im WC stehen.

Pezi saß im Aufenthaltsraum.
Goss sich einen Kaffee ein.
Die Tabletten hatten zu wirken begonnnen.
Gegen die Kopfschmerzen.
Aber nicht gegen diese Bilder.
Die Bilder vom Samstagabend.
Sie war mit Vroni im Kino gewesen.
Wie schon öfter.
Und sie hatten viel Spaß gehabt.
Ein wenig zu viel getrunken.
Schlaf bei mir!
Vronis Stimme hatte aufmerksam geklungen.
Ich wohne nicht weit von hier.
Macht gar keine Umstände.
Ich habe viel Platz!
Gerne hatte sie die Einladung angenommen.
Und sich mit einem Nachthemd von Vroni in deren Doppelbett bequem gemacht.
Da war ja nichts dabei.
Zwei Frauen…
Sie hatte nicht wirklich gemerkt, wie Vroni näher rückte.
Ihre Hand zu halten begonnen hatte.
Bis diese Hand ihren Nacken umklammerte.
Vroni sie zu küssen begonnen hatte.
Zärtlich.
Und doch auch wild.
Ihre Brüste berührt hatte.
Und Vronis Zunge ihren, Pezis, Körper koste.
Verwöhnte…
Übertölpelt.
Und mehr als das.
Sie, Pezi, hatte es genossen.
Jede Sekunde.
Hatte die Küsse erwidert.
Vronis weicher, warmer Körper hatte ungeahnte Leidenschaft in ihr geweckt.
Bis ihr Kopf sagte:
Ich bin nicht lesbisch!
Nein!
Ich liebe keine Frau!
Das ist doch…
…abartig.

Halb nackt war sie aus Vronis Wohnung gelaufen.
Hatte sich irgendwo vor dem Häuserblock notdürftig angezogen.
Und ein Taxi gerufen.
Mehrmals hatte sie sich verwählt.
Ihre Finger hatten gezittert.
Fast wie Espenlaub.
Auch jetzt noch zitterten sie.
Wenn sie daran dachte.
Sich erinnerte.
War das ihre wahre Bestimmung?
Eine Frau zu lieben?
Sie hatte nie zuvor etwas gemerkt davon.
Sie hatte Karl doch so geliebt.
So sehr.
Kann man das?
Männer und Frauen lieben?
Steffen kam in den Aufenthaltsraum.
Er lächelte sie an.
Geht’s dir wieder besser?
Seine Aufmerksamkeit tat ihr gut.
Eigentlich sah er gut aus.
Steffen.
Das war ihr noch nie so richtig aufgefallen.
Pezi stand auf.
Nickte energisch.
Ja.
Ich werde wieder weitermachen.
Geht schon.
 

Vivienne

 

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