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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

10.07.2005, © Vivienne

Rückblick

Margot stieg aus dem Wagen aus.
Die Frage ihres Schwagers klang halbherzig in ihren Ohren.
Sollen wir noch mitkommen?
Brauchst du irgendetwas?
Sag es ruhig.
Margot schüttelte den Kopf.
Nein, sie brauchte nichts.
Und niemanden.
Sie ging langsam bis zum Eingang.
Sperrte auf.
Ein paar Schritte über den Weg im Rasen.
Sie öffnete die Haustür.
Wie immer fast.
Aber Gust empfing sie nicht mit lauter Stimme.
Wie war es denn?
Hattest du einen schönen Nachmittag?
Nein.
Gust begrüßte sie nicht.
Denn sie kam gerade von seinem Begräbnis.
Vor fünf Tagen hatte er den Kampf um sein Leben verloren.
Eine Krankheit, die ihm nie wirklich eine Chance eingeräumt hatte.
Und trotzdem hatte er gekämpft.
Als hätte es eine Chance gegeben.
Den Krebs mit Verachtung strafend.
Wann immer es nur möglich war…

Mechanisch betrat Margot das Schlafzimmer.
Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihr wie sehr sie selber mitgekämpft hatte.
Mit Gust.
Fast zwölf Kilo war sie leichter geworden.
In den zwei Jahren.
Das schwarze Kostüm unterstrich ihre ungewohnt gute Figur.
Sie knöpfte die Jacke auf.
Ihre Gedanken gingen zurück…
Eine Routineuntersuchung.
Wegen Verdauungsbeschwerden.
Hatte Gust zumindest erzählt.
In Wirklichkeit hatte der Hausarzt schon so eine Vermutung gehabt…
Aber das hatte sie erst viel später erfahren.
Sehr viel später.
Sie selber hatte die Diagnose wie ein Blitz getroffen.
Sie erinnerte sich noch genau.
Ein ungewöhnlich schöner Tag.
Fast prickelnd.
Sie hatte sich noch rasch dunkle Pumps gekauft.
Weil sie so hübsch ausgesehen hatten.
Und wie angegossen passten…
Sie hatte an alles Möglich gedacht.
Während sie mit dem Lift nach oben fuhr.
In der Klinik.
Und ob sie heuer endlich nach Rhodos fahren würden.
Im Urlaub.
Wie Gust schon so lange versprochen hatte.
Mit Schwung hatte sie das Krankenzimmer betreten.
Gust lag dort.
Mit gesenktem Blick.
Dann hatte er sie angesehen.
Und sie wusste Bescheid.
Ohne ein Wort….

Ich gebe mich nicht geschlagen!
Den Satz sagte Gust in den folgenden Wochen wohl ein dutzend Mal.
Er machte allen etwas vor.
Auch ihr.
Im Besonderen sich selbst.
Die Ärzte hatten ihm gegenüber keinen Zweifel gelassen.
Operation und Chemotherapie dienen nur der Lebensverlängerung.
Und dem Erhalten einer gewissen Lebensqualität.
Auch das hatte sie erst sehr viel später erfahren.
Noch sprühte Gust vor Energie.
Ertrug die Operation.
Nahm die Chemotherapie in Kauf.
Keine Haare mehr auf dem Kopf.
Ein aufgedunsenes Gesicht.
Und als er wieder nach Hause kam schien alles wie früher.
Zumindest ein paar Wochen.
Gust nahm sogar wieder zu.
Margot richtete ihre Haare vor dem Spiegel.
Für einen Moment spürte sie die Hoffnung von damals.
Er hat es geschafft.
Sie sagte es sich immer wieder.
Bis ihr ein Arztbrief der Klinik in die Hände fiel.
Zufällig.
Und sie las von den Metastasen in der Leber.
Gust hatte sie nie erwähnt.
Ebenso vom positiven Befund nach der zweiten Kontrolluntersuchung.
Der Krebs war zurückgekehrt.
Wie von den Ärzten erwartet.
Und nicht nur das.
Er hatte sich schon im ganzen Körper ausgebreitet…

Margot setzte sich auf das Bett.
Sie begann zu weinen.
Leise.
Und weniger aus Leid über den schmerzlichen Verlust.
Als viel mehr auch aus der Anstrengung der letzten Monate heraus.
Sie hatte Gust versorgt.
Wo es nur ging.
Stundenweise ging ihr eine Pflegerin zur Hand.
Dann, wenn sie vor Überanstrengung nicht mehr konnte.
Sie dachte nicht mehr darüber nach, ob er es schaffen würde.
Sie schob das Unausweichliche von sich.
War lieb zu ihm.
Verabreichte ihm seine Tabletten.
Wickelte ihn wie ein Kind.
Und sie hielt seine Hand.
Immer wieder.
Wenn die Schmerzen trotz der Medikamente zeitweise unerträglich wurden.
Wenn Tränen über seine Wangen rollten.
Er aber trotzdem nichts sagte.
Weil er nicht mehr konnte.
Aber bisweilen, wenn sie ihn dann scharf ansah.
Las sie ihn seinen Augen.
Liebe.
Unendliche Dankbarkeit.
Und ein wenig Angst vor dem Loslassen…

Margot hatte zu weinen aufgehört.
Erleichterung hatte sich in ihr breit gemacht.
Sie wusste nicht warum.
Und sie schämte sich fast dafür.
Die Tränen trockneten auf ihrem Gesicht ein.
Sie ging in die Küche.
Begann zu kochen.
Semmelknödel mit Schwammerlsauce.
Eigentlich hatte sie keinen Hunger.
Aber irgendwann würde der Appetit wiederkehren…
Vor fünf Tagen war sie neben seinem Bett eingenickt.
Aus Übermüdung.
Sie döste eine ganze Weile.
Das klingelnde Telefon hatte sie aufgeweckt.
Eine Freundin.
Erst nach Minuten war sie wieder ins Schlafzimmer zurückgekehrt.
Und da war es ihr dann aufgefallen.
Minuten hatte sie auf Gusts Körper gestarrt.
Er atmete nicht mehr.
Er war irgendwann in der letzten Stunde gestorben.
In der sie aus lauter Erschöpfung geschlafen hatte…

Margot hackte die Zwiebeln klein.
Röstete die Eierschwammerl an.
Und goss dann auf.
Die Knödel zogen schon.
Margot setze sich wieder hin.
Sie hatte sich nie ein Leben ohne Gust vorstellen können.
So verschieden sie auch waren.
Die Zeit verbindet stärker als alle Liebe.
Die Dunstabzugshaube surrte.
War sie nun froh, dass er tot war?
Oder einfach, weil sein Leid ein Ende hatte?
Vielleicht auch beides.
Sie war nun allein.
Und ihr Leben würde sich ändern…
…ohne Gust.

Vivienne

 

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