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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

14.05.2005, © Vivienne

Schnitt

Kein Lift da.
Paula lief die Treppen hinunter.
Schnell.
Und sicher.
In ihrem Kopf dröhnten noch immer Werners Worte.
Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
Aber irgendwann kam die blasse Erinnerung.
Der Tag, an dem sie Werner kennen gelernt hatte.
Es musste länger als fünf Jahre her sein.
Spätsommer.
Und sie waren zufällig ins Gespräch gekommen.
Auf der Bank.
Werner wollte eine eigene Firma aufmachen.
Und schließlich fragte er sie.
Was halten Sie davon mitzumachen?
Was halten Sie davon sich auf ein Abenteuer einzulassen?
Das Reizvollste, das es gibt…
Das eigene Leben…
Im Grunde war sein Plan vage.
Unscharf.
Um nicht zu sagen nebulos.
Aber sie war mit ihrem Studium fast fertig.
Und warum nicht…?
Aussteigen konnte man immer.
Wenn der Herr nichts vom Fach verstand.
Oder?

Der Herr verstand etwas von der Materie.
Er verstand es Leute zu begeistern.
Leute wie sie.
Und sie brachte die nötige Organisation mit.
Paula behielt die Übersicht.
Sie werkte ganze Nächte durch.
Und viele Wochenenden.
Und sie realisierte schnell.
Es war nicht nur Arbeitseifer.
Es war Liebe.
Sie hatte sich verliebt.
Arm sahen ihre früheren Beziehungen dagegen aus.
Farblos.
Und sie arbeitet nur für ihn.
Sie bezog ihre Energie aus ihm.
Aus seinen undefinierbar grünbraunen Augen.
Seinem Händedruck.
Seine grauen Schläfen faszinierten.
Wie viele Jahre war er älter als sie?
Zehn Jahre?
Fünfzehn Jahre?
Es war ihr egal.
Auch als er eines Tages sagte.
Wie sind Freunde.
Vergiss das nicht…
Ich bin kein Mann für die Liebe.
Keine Frau wäre glücklich mit mir…

Paula hatte geweint.
Heimlich.
Und weiter gearbeitet.
Wie eine Wahnsinnige.
Verlässlich.
Stabil.
Auch wenn sie oft nicht wusste, wie es weitergehen sollte.
Wenn sie die Zahlen des Steuerberaters erfuhr.
Und sie Banken anschrieb.
Um Geld.
Für das nächste Projekt.
Und immer schaffte sie es.
Wenn nicht beim ersten Anlauf.
Dann sicher beim zweiten.
Paula gab nicht auf.
Nie.
Auch nicht in Bezug auf Werner.
Nein.
Gefühle konnten sich ändern.
Und wenn er erst begriff, was sie ihm bedeutete…
Werner schlief mit ihr.
Ab und an.
Trotzdem.
Kostbare Momente.
Nährten die Hoffnung.
Wenn sie mal wieder nah dran war.
Alles hin zu werfen.
Wegzugehen.
Ihn nie mehr zu sehen.
Ihn.
Werner.

Irgendwann tauchte ein Verdacht in ihr auf.
Werner war öfter unterwegs.
Und sie wusste nicht genau wo.
Oder wohin.
Früher hatte sie seinen Terminkalender auswendig gekannt.
Jede verplante Minute.
Jetzt schlief er nicht mehr immer im Büro.
Oder bei ihr.
Einmal folgte sie ihm.
Werner machte es ihr leicht.
Er ahnte nicht das Geringste.
Sie war blond.
Langbeinig.
Trug hohe, rosa Pumps.
Und ein pinkfarbenes Top.
Reizend sah sie aus.
Und so viel hübscher als sie.
Begehrenswert.
Sexy.
Die Frau fürs Bett.
Sie, Paula, war die Frau für’s Arbeiten.
Kein Problem herauszufinden wo das Girl wohnte.
Werner zahlte die Wohnung.
Der letzte Zweifel starb…

Paula sperrte sich auf dem WC ein.
Weinte.
Über eine Stunde.
Hemmungslos.
Als sie herauskam fühlte sie sich tot.
Sie hatte immer geahnt, es würde so kommen.
Nun war ihr Albtraum bittere Realität geworden.
Aber sie arbeitete weiter.
Werner war wieder einmal mit seiner Flamme beschäftigt.
Mitten in der Nacht stand sie auf vom PC.
Ging in die Küche.
Wegen einer Tasse Kaffee.
Und eines Aspirins.
Sie musste dabei ein Kabel übersehen haben.
Stürzte.
Und spürte einen stechenden Schmerz auf der Stirn.

Werner war außer sich.
Kam jeden Tag ins Spital.
Brachte frische Blumen.
Er litt.
Sie hatte es nicht für möglich gehalten.
Er schimpfte sogar mit ihr.
Warum sie so wenig auf sich achte!
Seine Hand zitterte.
Er wirkte fahrig.
Unsicher.
Das erste Mal seit sie ihn kannte.
Und seine Lippen waren verkniffen.
Weil er sie in der Firma brauchte?
Paula konnte nichts anderes denken.
Und rief ihren Bruder an.
Der eine Firma in Graz führte.
Hast du Arbeit für mich?
Gott sei Dank fragte er nicht lange.
Er wusste über ihr Liebeschaos Bescheid.
Wenn du möchtest immer.
Das weißt du doch.
Es war Zeit zu gehen.
Diese Liebe machte sie kaputt…

Monatsende.
Paula ging in Werner Büro.
Legte ihm ihre Kündigung hin.
Wortlos.
Werner brauchte Minuten um sich zu äußern.
Bist du wahnsinnig geworden?
Was ist los?
Paula nannte ihm den Namen der Blonden.
Kein Wort mehr.
Werner erstarrte.
Schluckte.
Lockerte seine Krawatte.
Ich schick sie weg.
Ich schwöre es dir.
Aber geh nicht.
Bitte geh nicht.
Werner sah aus wie ein Schulbub.
Ich schwöre dir:
Ich sehe sie nicht mehr an.
Nie mehr.
Keine andere.
Nur dich.
Aber bleib…
Paula leierte ihren Text herunter.
Ich habe vier Wochen Kündigungsfrist.
Gerne werde ich meine Nachfolgerin einschulen.
Oder meinen Nachfolger.
Ansonsten bin ich in einem Monat weg.
Werner starrte sie an.
Du Miststück.
Lass dich nie wieder hier blicken.
Raus mit dir!
Zum Teufel!
Du wirst noch gekrochen kommen!

Paula kannte seine Wutausbrüche.
Aber noch nie war er so heftig geworden.
Noch nie seit sie ihn kannte.
Sie lief hinaus.
Draußen spürte sie die Erleichterung.
Und doch auch Wehmut.
Ein paar verstohlene Tränen.
Das Handy läutete.
Werner.
Sie schaltete das Handy ab.
Es hatte keinen Sinn ihn anzuhören.
Morgen ging gleich in der Früh ein Zug nach Graz.
Paula drehte sich kurz um.
Oder sollte sie heute noch fahren?
Werner wusste wo sie wohnte…
Graz.
Ihr neues Zuhause…
Wieder Tränen.
Paula stieg ins Auto.
Starrte aus der Windschutzscheibe.
Linz würde ihr fehlen…
Dann startete sie energisch den Motor.

Vivienne

 

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