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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

10.07.2005, © Vivienne

Schulschluss

Klemens würgte in der Küche das Butterbrot hinunter.
Die Stimme seiner Mutter predigte ihm aus dem Wohnzimmer.
Dass du dich heute auch ordentlich anziehst, ja?
Das Hemd und die Hose liegen gebügelt auf dem Stuhl.
Hörst du überhaupt, was ich sage?
Klemens grinste.
Die Alte konnte ihn mal.
Er warf einen verschmitzten Blick auf seinen Rucksack.
Schmuddelig lag er in der Ecke.
Wohl gefüllt…
Ich muss gehen…!
Die Stimme der Mutter kletterte eine Oktave in die Höhe?
Aber du musst dich doch noch umziehen.
Kannst du nicht den nächsten Bus nehmen?
Heute ist doch Zeugnisverteilung!
Da sollst du ordentlich aussehen.
Klemens hörte gar nicht hin.
Packte seine Jacke und den Rucksack.
Eine Minute später fiel die Haustür ins Schloss.
Seine Mutter trat in die Küche.
Klemens?
Die Hose und das Hemd lagen noch immer auf dem Wohnzimmerstuhl…

Der Bus war fast leer.
Die meisten Schulen hatten erst ab 9:00 Uhr Zeugnisverteilung.
Klemens lachte.
Sein Freund Paul wartete schon auf ihn.
Und in zwei Minuten würde dann Horst auf die beiden treffen.
Klemens öffnete den Rucksack.
Barg seinen Schatz.
Sieh hier.
Das ist die Flasche Tequila.
Ich habe die Wette gewonnen.
Paul nickte anerkennend.
Wow!
Wo hast du die her?
Klemens schüttelte den Kopf.
Sag ich nicht.
Er war sich sicher:
Sein Vater würde die Flasche nicht so schnell vermissen.
Wo die herkam, gab es noch mehr…
Horst stieg in den Bus ein.
Mit ungläubigen Augen starrte er auf die Flasche.
Das ist ja Wahnsinn!
Und wo trinken wir die jetzt?
Klemens lachte.
Hier.
Und sofort.
Er langte nach seinem Taschenmesser.
Minuten werkte er.
Verletzte sich an der Hand.
Verdammte Scheiße!
Dann fiel der Korken…

Klemens hob die Flasche hoch.
Dann nahm er einen Schluck.
Das Getränk brannte auf seiner Zunge.
Aber das würde er nie zugeben…
Cool!
Wer will als nächster?
Das missbilligende Räuspern eines Mannes ließ ihn aufhorchen.
Dann lachte Klemens ihm ins Gesicht.
Provokant.
Und er nahm noch einen Schluck.
Hey, Mann.
Lass uns auch was über!
Paul protestierte lautstark.
Klemens grinste.
Sein Blick ging durch den Bus.
Die meisten Leute ignorierten die drei.
Aber der Mann neben ihnen wandte sich nicht ab.
Er wirkte betroffen.
Paul erkämpfte sich die Flasche.
Hielt sie mit beiden Händen.
Und nahm ein paar große Schluck.
Dann reichte er sie Horst.
Der wirkte mit einem Mal sehr unsicher.
Vorsichtig nippte er an der Flasche.
Dann spuckte er aus.
Igitt!
Das schmeckt ja scheußlich!
Klemens begann lauthals zu lachen…
Du verträgst gar nichts.
Lass mich wieder ran!

Nach zehn Minuten war die Flasche leer.
Klemens und Paul hatten glasige Augen.
Sie lallten.
Begannen unmotiviert zu kichern.
Horst stand etwas betreten daneben.
Er fühlte sich schlecht.
Er war ein Feigling.
Vor den beiden Freunden hatte er nicht bestanden.
Aber das Getränk war einfach widerlich gewesen.
Schuldbewusst wandte er sich zur Tür.
Stieg aus.
Seine Freunde lachten.
Dann folgten sie ihm.
Die Flasche ließen sie stehen.
Sie fiel um.
Begann herum zu kollern.
Als sich der Bus wieder in Bewegung setzte.
Vor den Schuhen jenes Mannes blieb sie liegen.
Der betrachtete sie nachdenklich.
Es roch leicht nach dem hochprozentigen Getränk.
Bei der nächsten Haltestelle begann sich der Bus wieder zu füllen…

Vor kurzem in der Linzer Straßenbahn beobachtet…

Vivienne

 

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