bohnenzeitung.com

 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

06.07.2005, © Vivienne

So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt!

Jetzt sitze ich im Bus.
Fahre in die Stadt.
Treffe mich mit einer Freundin.
Du hast gemault.
Das du ja kein Geld vertust!
Und schau dass du bald wieder heimkommst!
Ich habe keine Lust, auf die Kinder zu schauen.
Dafür bist du zuständig!
Bin ich das?
Ich weiß es nicht.
Ich trau mich auch nicht mehr zu widersprechen.
Du schreist fast ständig mit mir.
Wenn ich es tue.
Und du schlägst mich auch.
Immer wieder.
Dabei warst du ganz anders.
Damals, als wir uns verliebt haben.
Was warst du für ein liebevoller Mensch!
So zärtlich.
So warmherzig.
Ich habe mich geborgen gefühlt bei dir.
Und irgendwie hast du damals auch anders ausgesehen.
Nicht so hart und kalt wie jetzt.
Lieblos.
Ob es meine Schuld ist, dass du dich so verändert hast?
Immer wieder stelle ich mir diese Frage.
Weil ich keine perfekte Hausfrau bin.
Und weil mir das jüngste Kind passiert ist.
Du wolltest ja nur zwei Kinder.
Und Job finde ich auch keinen.
Bei uns fehlt es am Geld.
An allen Ecken und Enden.
Ich gebe mir ja Mühe.
Aber meine Lehre habe ich damals abgebrochen.
Als ich zu unserem Sohn schwanger wurde.
Das wolltest du doch auch?
Damals.
Du hast es selber gesagt.
Oder?
Und so gibt es wenige Jobs für mich.
Wer stellt schon eine Frau ohne Ausbildung an?
Mit drei Kindern?
Und nun sitzen wir in einer viel zu kleinen Wohnung.
Du bist nicht mehr lieb zu mir.
Und es tut mir so weh.
Weil ich dich doch noch immer gern habe.
Ich versuche dich immer zu sehen.
So, wie du damals warst.
Aber deine Augen…
Sie leuchten nicht mehr.
Und oft bist du gar nicht daheim.
Unterwegs mit deinen Freunden.
Lässt mich allein mit den Kindern.
Es ist dir egal, ob ich auch mal rauskomme.
Nicht nur pendeln zwischen Wohnung und Geschäft.
Hübsche Kleider kaufen.
Nicht nur billige Shirts in einem Supermarkt.
Ich würde auch gern mal wieder fortgehen.
Mich amüsieren.
Mit dir!
Aber du nimmst mich nie mit!
Als ob du dich schämst…
Für mich.
Ich bin nicht mehr hübsch.
Ich weiß es.
Ich bin auch schon dreißig gewesen.
Ich erschrecke oft.
Wenn ich in den Spiegel sehe.
Mein Gesicht ist grau wie Papier…

Der Bus ist angekommen.
Ich steige aus.
Sehe mich um.
Da ist mein Freundin!
Wir haben uns lange nicht gesehen.
Sie umarmt mich.
Ich sehe aber auch Sorge in ihrem Gesicht.
Wir setzen uns in ein Kaffeehaus.
Und meine Freundin zahlt mir den Kaffee.
Ich weiß:
Es wäre dir nicht Recht, wenn ich mir selber was kaufe.
Wir reden.
Irgendwann beginne ich zu weinen.
Die Freundin hört mir zu.
Redet sanft mit mir.
Du musst was ändern.
In der Ehe gehst du zugrunde.
Das kann doch nicht alles gewesen sein?
Oder?
Ich nicke.
Ein paar Tränen kollern mir noch über die Wange.
Ich will so nicht leben.

Aber kann ich noch anders?

Vivienne

 

 Redakteure stellen sich vor: Vivienne       
 Alle Beiträge von Vivienne

1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (Keine Bewertungen)

Schreibe einen Kommentar