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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

30.04.2005, © Vivienne

Was habe ich falsch gemacht?

Horst raste auf der Autobahn dahin.
Die Krawatte lag am Nebensitz.
Sein Hemdkragen war geöffnet.
Wenig Verkehr.
Rechzeitig verlangsamte er das Tempo.
Dort vorn blinkten die Lichter einer Baustelle.
Die hätte er beinahe übersehen.
Horst schnaufte durch.
Er konnte noch immer kaum einen klaren Gedanken fassen.
Ein Wegweiser signalisierte eine Raststätte.
Horst atmete schwer.
Vielleicht würde ihm ein starker Kaffee gut tun.
Er ordnete sich ein.
Minuten später parkte er.
Kaum ein Auto am Parkplatz.
Er stieg aus dem Wagen.
Es tröpfelte leicht.
Der Himmel war dicht bewölkt.

Horst holte sich einen Mokka.
Setzte sich an einen Tisch.
Annette.
Er ballte die Faust.
Seine Freundin.
Was heißt Freundin!
Zehn Jahre hatten sie zusammen gelebt.
Zusammen gelebt…
Er hörte Annettes Stimme wieder.
Vorwurfsvoll.
Hundert Mal hatte er ihre Forderung gehört.
Warum können wir nicht zusammen ziehen?
Du kommst Freitagabend.
Oft erst nach 22:00Uhr.
Dann vögeln wir das Wochenende durch.
Mehr oder weniger.
Und schließlich schleichst du dich Sonntag.
Kurz nach dem Mittagessen.
Ich muss noch was für die Arbeit vorbereiten.
Wenn ich das schon höre!
Ich will mehr von dir…
Verstehst du?

Horst schreckte hoch aus seinen Gedanken.
Der Mokka wurde kalt.
Er nahm einen Schluck.
Annette.
Dieses Luxusgeschöpf.
Was hatte er sie nicht verwöhnt!
Teuren Schmuck!
Exklusive Kleidung.
Er überraschte sie mit Kurztripps übers Wochenende.
Nach Rom.
Nach Paris.
Nach Amsterdam.
Natürlich arbeitete er viel.
Viel zu viel.
Aber das hatte er ihr nie verheimlicht.
Ich bin in gehobener Position.
Mehr Zeit habe ich einfach nicht.
Und deshalb auch getrennte Wohnungen.
Ich möchte völlig ausspannen, wenn ich bei dir bin.
Dich vom Alltagskram getrennt wissen…
Du bist etwas Besonderes für mich.
Sie hatte ihn angestrahlt damals.
Mit ihren blauen Augen.
Und den wunderschönen Wimpern.
Aber plötzlich genügte ihr das nicht mehr…

Gedanken verloren zündete Horst sich eine Zigarette an.
Inhalierte den Rauch tief.
Es hatte schon länger nicht gestimmt zwischen ihm und Annette.
Sie war anspruchsvoll geworden.
Das war jedenfalls sein Einruck gewesen.
Früher war sie über jedes Geschenk begeistert gewesen.
Du bist so großzügig…
Aber diese Einstellung hatte sich geändert.
Mittlerweile reagierte sie gelangweilt.
Oder enttäuscht.
Heißt das, dass du nächste Woche wieder nicht da bist?
Wortlos war sie aus dem Schlafzimmer gelaufen.
Schmollte.
Zeigte ihm die kalte Schulter.
Obwohl er ihr zu erklären versuchte.
Ich kann nicht so über meine Zeit verfügen wie du…
Du arbeitest im Büro bis Freitagmittag.
Ich habe um die Zeit noch so viel Kram zu erledigen.
Und manchmal habe ich auch am Wochenende Termine.
Das war doch immer so.
Das hast du gewusst.
Wieso?
Wieso ist es plötzlich ein Problem?

Die Mokkatasse war leer.
Aber Horst wollte nicht aufstehen.
Er blieb sitzen.
Musterte die Leute im Lokal.
Die miteinander redeten.
Gedämpft wie das Licht.
Horst holte sein Handy aus dem Jackett.
Las noch einmal Annettes letzte SMS.
Las sie durch.
Wieder und wieder.
Wie er sie heute Abend gelesen hatte.
Kurz bevor er zu ihr fahren wollte.
Wie immer.
Er konnte sie noch immer nicht begreifen.
Nicht glauben.

Du brauchst nicht mehr kommen heute.
Überhaupt nicht mehr.
Ich liebe jemand anderen.
Und er hat Zeit für mich.
Immer…

Vivienne

 

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