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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

23.04.2005, © Vivienne

Was soll ich tun?

Schon seltsam.
Fast vierzig Jahre musste ich alt werden.
Vierzig Jahre um das erste Mal zu hören:
Sie sind schwanger.
Ich hatte alles erwartet.
Nur nicht das.
Eintritt der Wechseljahre.
Oder eine Krankheit.
Womöglich bösartig.
Aber schwanger?
Schwanger von einem ungeliebten Mann?
Bei einem seltenen Beischlaf?
Fast zufällig?
Ich begreife es nicht.
Mir musste das passieren.
Mir…

Ich bin schwer krank.
Ich muss regelmäßig Medikamente nehmen.
Schwere Medikamente.
Und sie schädigen ein ungeborenes Baby.
Mit Missbildungen.
Vielleicht würde ich mein Kind dadurch auch verlieren.
Vielleicht.
Die Ärztin sieht mich an.
Ungerührt.
Sie zeigt mir das Ultraschallbild.
Ich bin im vierten Monat.
Und hier unter schwarzweißen Farbflecken.
Mein Kind.
Und ich kann es nicht behalten.
Darf es nicht.
Meine Medikamente brauche ich notwendig.
Keine Rede davon sie abzusetzen.
Unmöglich.
Aber mein Kind wird davon geschädigt.
Für sein weiteres Leben.
Schwer behindert.
Wahrscheinlich ein Pflegefall.
Sein ganzes weiteres Leben.
Die Ärztin sieht mich weiter an.
Ich höre noch ihre Worte.

Wahrscheinlich hat das Kind irreparable Schäden davongetragen.
Jetzt schon.
Überlegen Sie es sich.
Und sagen Sie mir dann Bescheid.
Ich überweise Sie ins Spital.
Sie ist sich ihrer Sache sicher.
Logisch hat sie wohl auch Recht.
Aber vielleicht irrt sie sich.
Was die Prognose betrifft.
Und die Aussichten.
Meines Kindes.
Soll ich so schnell aufgeben?
Muss ich mich abfinden?
Ich weiß es nicht.
So verabschiede ich mich.
Und denke nach.
Fragen.
Soll ich eine zweite Meinung einholen?
Oder mache ich mir was vor?

Im Beipacktext meiner Medikamente steht:
Der Eintritt einer Schwangerschaft ist unverzüglich zu melden.
Nicht anwenden während Schwangerschaft und Stillzeit.
Vor Jahren wollte ich einmal ein Kind.
Sehr.
Ich liebte ihn damals noch.
Den Mann an meiner Seite.
Aber ich durfte nicht schwanger werden.
Der Arzt riet mir ab.
Wegen meiner Medikamente.
Und jetzt bin ich doch schwanger geworden.
Nie hätte ich damit gerechnet.
Niemals.
Und ich weiß nicht was ich tun soll.
Ich glaube mein Kind in mir zu spüren.
Obwohl es nur Einbildung ist.
Sicher.
Das sagte heute auch meine Ärztin.

Was würde wohl er sagen?
Der Mann an meiner Seite?
Ich denke nicht dass er es haben wollte.
Mein Kind.
Lass es wegmachen!
Kurz und bündig.
Ist es wirklich so einfach?
Sich mit Vierzig ein Kind antun.
Schon normalerweise eine Dummheit.
Normalerweise.
Mein Kind wird behindert sein.
Sagt die Ärztin.
Und ich weiß, dass sie sich nicht irrt.
Dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist.
Einfach zu hoch.
Und das ich mir etwas vormache.
Es wäre nur einfach schön…
Ein kleines Etwas im Kinderwagen.
Und dann am Spielplatz.
Späte Mutter.
Aber nicht realistisch.
Ich hadere mit mir.
Und weiß doch, dass ich keine Wahl habe…
Nein.

Vivienne
 

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