Die Handleserin

Ich saß auf der Couch in unserer Wohnung und sah mir die Nachrichten an. Mein Mann, Ali, hatte einem Freund noch ein paar EDV-Handbücher zurückgebracht und wollte danach noch Zigaretten für uns besorgen. Ich wusste gar nicht, wie spät es war, als sich der Schlüssel im Schloss drehte. Ali zog seine Schuhe aus, kam herein und grinste mich an. Dann verschwand er in der Küche, wo er im Kühlschrank zu rumoren begann und sich schließlich mit einem belegten Brot bei mir breit machte. Kauend nahm er mir die Fernbedienung ab und wechselte auf den ORF-1-Kanal. Olympia und kein Ende…

Ich grinste vor mich hin. Eine Beziehung leben heißt für sie vor allem, akzeptieren, dass ihm die Fernbedienung gehört… Ich weiß nicht mehr, wer mir das einmal gesagt hatte, aber der Spruch gefiel mir. Ich lehnte mich auf der Couch zurück und lauschte Alis Ausrufen. „Frechheit! Eine Razzia wie bei Verbrechern, obwohl doch alle Dreck am Stecken haben! Sag doch auch etwas!“ Ali stieß mich an. „Das ist doch eine große Ungerechtigkeit!“ Ich zuckte die Achseln und erhob sanft meine Stimme. „Du, Ali, vergiss vor lauter Ungerechtigkeit nicht, dass gleich CSI Miami auf RTL anfängt, ja?“ Ali nickte. „Okay, Vivi, dich interessiert das Alles nicht, ich weiß. Ich sollte gar nicht erst damit anfangen…“

In der Werbepause zündete ich mir eine Zigarette an und Ali grinste mich an. „Du solltest wirklich nicht so viel rauchen. Weißt du denn nicht, dass du ein Kind bekommst?“ Mir fiel die Zigarette beinahe aus der Hand. Ich starrte Ali an und fragte mich einen Moment, ob er vielleicht zu viel getrunken hatte. Aber Ali machte nicht den Eindruck, er feixte mich an und begann zu lachen. „Vivi, du hättest jetzt dein Gesicht sehen sollen. Goldig. Diese großen blauen Augen, der offene Mund…“ Ich begriff nicht ganz. Warum machte Ali so einen dummen Scherz, Ali, dem wohl bewusst sein musste, dass ich mir mit fast vierzig Jahren keine Schwangerschaft mehr antun würde. War das Thema für uns nicht ohnehin schon lange passé?

„Schon gut, Vivi, das gehört nur zu einer Geschichte, die ich vorhin erlebt habe.“ Ali legte den Arm um mich. „Ich wollte ja noch Zigaretten holen und als ich auf der Landstraße aus einer Trafik kam, trat eine dunkelhaarige Frau auf mich zu. Eindeutig kroatischen oder serbokroatischen Ursprungs, das merkte ich schon an ihrem Akzent, als sie mich anredete.“ Ich war ganz Ohr. „Sie hat dich angeredet?“ Ali nickte. „Allerdings wollte sie mir nicht ihren Körper verkaufen, wie du vielleicht gedacht hast, sondern sie sagte wortwörtlich…Ich bin gut in Handlesen…“ Ich verstand, sie war eine Vertreterin einer Bande, die unbedarften Leuten viel Unglück einreden und dann, um dieses Unglück abzuwenden, eben diesen Leuten viel Geld abknöpfen. Mit einem Wort Gesindel.

„Und du?“ Ich verstand nicht ganz, was meine angeblich bevorstehende Mutterschaft mit dieser Betrügerin zu tun haben konnte. Ali grinste breit. David Caruso tauchte wieder auf dem Bildschirm auf, aber seine sonst so erotisierende Wirkung auf mich blieb in diesem Moment aus. Ali lachte. „Pass auf, Vivi, ich habe mir einen Scherz gemacht. Ich erzählte dieser Person, das käme gerade Recht, denn meine Frau und ich würden uns so sehr ein Kind wünschen. Und dass ich gerne wissen wollte, wann es endlich klappt…“ Ali konnte schon ein Lausbub sein, das wurde mir einmal mehr bewusst. Nicht dass ich Mitleid mit dieser Frau und ihren angeblichen hellseherischen Fähigkeiten hatte, aber es schien mir schon sehr dreist, wenn Ali da noch Öl ins Feuer goss…

Mein Mann setzte ein spitzbübisches Lächeln auf während er fort fuhr. „…ich erfuhr alles von dieser Frau: unser Kind kommt Anfang nächstes Jahres zur Welt. Aber es wird einen schweren Herzfehler haben und nicht alt werden, wenn ich ihr nicht viel Geld geben würde um das Übel abzuwenden. Jemand hätte uns nämlich verflucht, aber sie hätte die Gabe allen rechtschaffenen Menschen zu helfen. Und außerdem würdest du bei der Geburt vielleicht sterben, weil ein böser Zauber auf dir liegen würde. Auch den könne sie von dir nehmen, denn sie hätte eine besondere Gabe erhalten – nur eine Frage des Geldes halt.“ Kopf schüttelnd sah ich Ali bei seinen Worten ins Gesicht. „Sag ehrlich, war dir nach Schabernack? Mit solchem Gesindel gibt man sich doch gar nicht ab!“

Ali begann zu kichern. „Du verstehst das nicht. Es war so lustig, ich habe mich köstlich amüsiert. Vor allem, als ich dieser Person schließlich sagte, dass ich sie jetzt verzaubert hätte, und den Bann nur gegen Bares von ihr lösen würde… Da ist sie dann kreidebleich geworden, hat mich beschimpft und dann die Flucht ergriffen. Ich machte mir noch den Spaß ihr nachzurufen: Du bist verhext, ich verfluche dich! Du bist verhext! Aber sie hat sich nicht umgedreht, sie wurde nur noch schneller!“ Ich nahm Ali wortlos die Fernbedienung weg und stellte die Serie lauter. Bei aller Kuriosität konnte man der Sache einen gewissen Charme nicht absprechen, mal abgesehen davon, dass dieses Geliecht ohnedies einen Denkzettel verdient. Aber trotzdem musste ich schließlich meine Zustimmung nicht so deutlich zur Schau stellen…

© Vivienne

1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (Keine Bewertungen)

Schreibe einen Kommentar