Die mexikanische Braut

Fritz, ein alter Freund von Ali und mir, trank sein Bier aus, langsam und bedächtig. Es war mittlerweile spät geworden und ich ertappte mich öfter dabei, dass ich auf die Uhr schielte. Morgen war ein Arbeitstag und Ali und ich mussten wieder früh aus den Federn. Ganz verstand ich nicht, warum Fritz, der uns heute Nachmittag wegen ein paar gebrannter Musik-CD’s einen etwas unerwarteten Besuch abgestattet hatte, keine Anstalten machte, nach Hause zurückzukehren. Immerhin musste seine Frau auf ihn warten, aber Fritz schien etwas auf der Seele zu liegen. Als sich sein Blick wieder einmal auf dem Parkettboden im Wohnzimmer verlor, warf mir Ali einen Seitenblick zu. Seine Stimme brach die Stille im Raum etwas plötzlich… „Sag, Fritz, stimmt irgendetwas nicht?“ Unser Freund schreckte zusammen, in seinem Gesicht begann es zu arbeiten, dann schüttelte er den Kopf. „Ich denke, ich werde jetzt gehen. War ein netter Abend…“

Fritz stand auf, doch Ali legte ihm den Arm auf die Schulter. „Fritz, wenn du Probleme hast, dann mach dir Luft. Es wird nicht anders, wenn du es hineinfrisst.“ Unser Freund starrte wieder betreten zu Boden, dann nickte er. Ich holte aus der Küche noch einmal Kaffee für uns drei und während Fritz fast endlos lange in seiner Kaffeetasse rührte, fragte ich mich, ob der offensichtliche Kummer des Mannes wohl mit seiner Frau zusammenhing, der rassigen Anna. Zuletzt hatten wir, Ali und ich, im Bekanntenkreis schon einiges aufgeschnappt und wie zum Beweis meiner Gedanken stellte Fritz zu Beginn seiner Geschichte einen Satz in den Raum. „Anna ist eine wundervolle Frau.“ Ich erinnerte mich wieder. Vor zwei oder drei Jahren hatte Fritz im Internet die mexikanische Schönheit kennen und lieben gelernt. Ja, auch lieben, denn Fritz war Anna schon lange verfallen gewesen, bevor er ihr persönlich das erste Mal gegenübergestanden war. Skype machte es möglich, ein Service, über das man im Web über Headsets kostenlos telefonieren kann und so vermochten die erotische Stimme der lebenslustigen, sprach gewandten Arzthelferin aus Mexico City und ihre Fotos den sicher nicht weltfremden Fritz völlig zu betören.

Der nächste größere Urlaub führte Fritz nach Mexiko und zum ersten Treffen mit Anna, die anscheinend in Echt unseren Freund noch mehr verzaubern konnte als über das Web. Die beiden wurden ein Liebespaar, obwohl sie sich kaum kannten und der geschiedene Fritz, der sonst mit beiden Beinen im Leben stand, hatte nur ein Thema, als er nach zwei Wochen wieder in die Heimat zurückgekehrt war: Anna war die große Liebe seines Lebens und er würde einen Weg finden, sie nach Österreich zu holen und mit ihr glücklich zu werden… Und Fritz fand tatsächlich einen Weg, er ließ sich durch nichts entmutigen und ich weiß noch, wie er uns schließlich seine mexikanische Braut vorgestellt hat: Fritz strahlte wie ein Christbaum, seine Frau war wirklich eine wunderschöne und sehr aparte Erscheinung, auch wenn sie damals auf mich nicht ganz so glücklich gewirkt hatte – aber vielleicht kam es mir auch nur so vor. Schließlich kannte sie uns nicht und war vielleicht einfach nur unsicher…

Fritz und Anna heirateten, aber wenn ich Fritz, der noch immer in Gedanken versunken war, ins Gesicht sah, schien er mir nicht mehr der glückstrahlende Mann zu sein, der er einmal gewesen war. Ganz sicher nicht. Fritz wirkte auf mich wie weidwund, und irgendwie begann ich zu ahnen, was er uns sagen wollte… Als unser Freund endlich zu reden begann, ließen seine Worte ein beredtes Szenario in mir aufsteigen, in dessen Mittelpunkt Anna, seine Frau, agierte… „Wir lieben uns, nach wie vor. Aber …“ Fritz sah verzweifelt aus, mehr als nur verzweifelt – todunglücklich… „Sie passt nicht hier her, sie fühlt sich nicht wohl hier und sie wird mich verlassen. Früher oder später. Anna ist ein Paradiesvogel – und sie ist nicht für Mitteleuropa geschaffen. Wie eine Orchidee, die im Winter langsam stirbt. Sie gehört nicht nach Linz, und nicht zu meinen Eltern ins Mühlviertel. Das ist nicht ihre Welt…“ Die Stimme von Fritz brach, aber dann fuhr er langsam fort: vom Alltag mit der dunkelhaarigen Schönheit, der die Liebe der beiden auf eine zu harte Probe gestellt hatte… „Sie mag das Essen hier nicht. Schnitzel, Schweinsbraten, Sachertorte – daran wird sie sich nie gewöhnen. Auch das Wetter behagt ihr nicht. Der Schnee und die kühlen Temperaturen im Winter, das schwüle Wetter im Sommer – so ganz anders, als sie es dreißig Jahre in ihrer Heimat gewohnt gewesen war…“

Fritz wischte sich über die Augen. „Ich habe alles versucht, ihr zu helfen. Wir waren Weihnachten in Mexiko, wir sind auch im Sommer wieder in ihre Heimat geflogen.“ Fritz schüttelte in komischer Verzweiflung den Kopf. „Einmal abgesehen von den Kosten und dem Kampf in der Arbeit wegen des Urlaubs: Ihr Heimweh wurde nur noch stärker dadurch. Beim letzten Mal wollte sie nicht mehr heim fliegen, sie beschwor mich auf Knien, ich möge ihr noch ein paar Tage hier gönnen…“ Ich konnte mir gut vorstellen, wie Fritz zumute war. Er tat alles für seine Anna, aber sie konnte hier nicht Fuß fassen. Sie war im Grunde bei Fritz isoliert, und alle ihre Lieben und Freunde lebten zigtausende Kilometer von ihr entfernt. Ich hatte gehört, dass Fritz bemüht gewesen war, seiner Frau einen Job zu verschaffen, aber privat als Putzfrau zu arbeiten, schwebte der stolzen, schönen Mexikanerin nicht vor. Also saß sie den ganzen Tag nur vor dem Computer, chattete mit den Angehörigen und tat im gemeinsamen Haushalt nur das Nötigste… „Ich verliere sie, ich spüre es.“ Die Stimme von Fritz brach wieder, ich sah Tränen in seinen Augen aufblitzen. „Wir entfremden uns, zusehends, und ich kann nichts dagegen tun. Gar nichts. Versteht ihr?“

Fritz wirkte etwas gefasster als er dann ging. Ich räumte den Tisch ab und stellte die Tassen und Gläser in den Geschirrspüler. Die Gedanken in meinem Kopf liefen kreuz und quer und ich fragte mich, warum das Leben oft so kompliziert sein musste… Tiefe Gefühle allein genügen oft nicht und ich versuchte mir vorzustellen, ob Fritz seinerseits in Mexiko Fuß fassen hätte können, wenn er es versucht hätte… Zwei unterschiedliche Welten waren in diesem Fall aufeinander geprallt, manchmal funktioniert so eine Verbindung, im Falle von Fritz und seiner Frau schienen die Weichen auf Auflösung gestellt. Nicht jeder Mensch ist gleich flexibel, nicht jede Liebe ist stark genug. Die Umstände entscheiden… Diese Erkenntnis trifft letzt Endes wohl auf jede Liebesgeschichte zu, nicht nur auf jene mit kulturellen Barrieren…

Nach einer wahren Begebenheit

© Vivienne

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