Ein Mann in den besten Jahren…

„Wer ist denn der Typ da?“ Albert, mein Mann, drehte seinen Kopf auf die Seite. „Wen meinst du?“ Ich deutete vorsichtig auf den hoch gewachsenen Mann mit kurzem, rötlichem Haar, der mit einer drallen Blondine vor der Eingangstür seines Hauses stand. Ali und ich waren am Ostermontag bei Bea und Louis eingeladen gewesen, und während die beiden das Essen vorbereiten, hatten Albert und ich trotz des veränderlichen Wetters einen Spaziergang gewagt. Der hagere Mann, den ich da inspizierte, fiel durch eine eher große Nase auf, vorsichtig formuliert, und er hatte seine Arme um die Blonde gelegt, bzw. nestelte er auch, quasi öffentlich, sehr ungeniert an ihrem Hinterteil und Busen herum. Ein Mann, der seine Besitzansprüche an diese Frau sehr deutlich demonstrierte…

„Gefällt er dir etwa?“ erkundigte sich Ali boshaft. Ich verdrehte die Augen. „Da müsste ich blind sein, wenn ich dich für ihn stehen ließe – sieh dir nur seine Nase an, der könnte glatt zwei Frauen auf einmal beglücken, wenn er wollte.“ Ali begann lauthals zu lachen. „Vielleicht hast du Recht. Wenn er eine eigene Technik dafür entwickelt…“ Ich schmunzelte, aber Beas Handy riss uns aus unserem lästerlichen Gespräch. Das Essen wartete nur mehr auf uns und wir wandten uns zum Haus von Louis Eltern in derselben Straße, wo Bea und ihr Mann das Obergeschoß für sich beansprucht hatten. Nach dem vorzüglichen italienischen Mittagessen servierte Bea Kaffee und Torte und seltsamerweise drehte sich unsere Unterhaltung sehr bald um den Mann aus dem Haus weiter unten…

„Ihr habt Kurt Krüger gesehen? Der ist ein echtes Unikum!“ Louis grinste. „Wie meinst du das?“ Ich wurde neugierig und warf Ali einen Seitenblick zu. „So auffällig war der nicht, er hatte halt seine Frau in Arbeit. Und der Rasen hätte wieder gemäht gehört…“ Bea und Louis kicherten. „Seine Frau? Der Mann ist seit ein paar Jahren geschieden. Sagt mal, die Frau, die er bearbeitet hat: war die zufällig blond und vollbusig?“ Ich nickte. Bea grinste. „Das war seine Schwägerin. Der gute Kurt kann es nicht lassen. Wisst ihr…“ fuhr sie etwas ernster fort. „… Krüger befindet sich in der Midlife Crisis. Akut. Einer jener Typen, die glauben, sie hätten etwas im Leben versäumt, weil sie nur eine Frau zur Auswahl gehabt haben. Er begann schließlich eine Affäre nach der anderen, kein Problem bei seiner ehrenamtlichen Tätigkeit beim Roten Kreuz, bis seine Frau nach fast zwanzig gemeinsamen Jahren ausgezogen ist und die Kinder mitgenommen hat.“

Ich nickte. „Er hatte also das Gefühl, er müsse etwas nachholen in seinem Leben. Kommt ganz sicher öfter vor.“ „…aber nicht in der Form wie bei Kurt!“ unterbrach mich Louis und begann heftig zu gestikulieren. „Der Mann hat so etwas wie eine Dauererektion und rennt allem Weiblichen nach, frei nach dem Motto: Ich nehme mir jede Frau, die ich haben kann, von achtzehn bis achtundsechzig!“ „Nein! Aber nicht wirklich! So einer ist das?“ Ich verzog den Mund angesichts der Vorstellung, wie viele Frauen der Mann wohl schon in seinem Bett flach gelegt haben musste… Louis grinste aber weiter amüsiert. „Das ist wirklich so einer, du sagst es, jede Erektion könnte schließlich die letzte sein… Und seine Schwägerin, die ihr gesehen habt, ist halt auch so eine, die wirklich auf ihn steht. Die besucht ihn öfter. Also wenn ich der Bruder von dem wäre, ich hätte ihm wohl schon das Genick gebrochen…“

„Keine Sorge!“ widersprach meine Schwester Augen zwinkernd. „Kein Bedarf, auch wenn sich der Kerl für unwiderstehlich hält, der beste Mann weit und breit bist trotzdem du!“ Die beiden küssten sich verliebt, während ich mir eine Zigarette anzündete. Bea nahm den Faden schließlich wieder auf. „Louis hat Recht, Krüger macht sich im Grunde an jede Frau ran, die meisten Leute hier wissen das längst. Als sich aber Kurt, was nicht so selten vorkommt, mal eine Abfuhr holte und die besagte Frau sich bei ihrem Mann über Kurts unverschämtes Benehmen beschwerte, bestritt Krüger alles. Genau umgekehrt sei es gewesen, behauptete er, die Frau hätte nämlich ihn angemacht, aber er, er wisse ja was sich gehöre, oder?“

Ich hustete, weil ich mich verschluckt hatte. „A…loch. Gibt’s so was?“ Louis nickte. „Nimm das nicht zu ernst. Der Typ ist ein Gewohnheitslügner, der kennt keinen Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge sondern einzig das Bedürfnis, gut dazustehen. Der gibt eine Lüge auch dann nicht zu, wenn er – fachmännisch ausgedrückt – aufgrund der Beweislage eindeutig überführt ist. Sag, Bea, wie war das noch mit Baumanns Bohrmaschine?“ Bea nickte eifrig. „Richtig. Familie Baumann, unsere Nachbarn, haben Krüger ihre Bohrmaschine geliehen, angeblich, weil Krüger eine Reparatur zu erledigen hatte. Krüger rückte danach die Bohrmaschine aber nicht mehr heraus. Herr Baumann hat uns erzählt, dass oft er ein paar Mal in der Woche bei Krüger angerufen hat, weil er seine Bohrmaschine selber wieder brauchte. Aber er wurde immer vertröstet…“

Irritiert schüttelte ich den Kopf. „Und dieser Krüger wollte die Bohrmaschine wirklich nicht mehr hergeben? Wieso? Wollte er sie etwa behalten?“ Mein Schwager zuckte die Achseln. „Das weiß Gott allein, vielleicht wusste es Krüger selber auch nicht. Aber Baumann ist schließlich höchst persönlich zu Krüger marschiert und hat sich die Bohrmaschine geholt. Ich glaube, jetzt leiht ihm bei uns hier keiner mehr so schnell etwas…“ Ich dämpfte meine Zigarette wieder aus. So ein komischer Typ aber auch! Aber vermutlich vielmehr ein armer Teufel, der seinen Weg im Leben nicht mehr so recht findet und sich über sexuelle Stimulation definiert. Und wie ein Kind lügt, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht…

Gewidmet einem Unikum aus dem Bezirk Wilhering…

© Vivienne

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