Ins eigene Unglück laufen…

Carola Heinzer war ein nettes, lebensbejahendes Mädchen. Ich kannte sie vor einigen Jahren ganz gut, ich hatte damals am Linzer Bindermichel eine Wohnung und sie und ihr Freund waren im selben Haus daheim. Reinhard, ihr Lebensgefährte, war ein merkwürdiger Kerl, das musste ich bei unseren wenigen Begegnungen immer wieder feststellen. Er war mir suspekt und pflegte einige verschrobene Einstellungen, für die man ihm, wenn es nach mir gegangen wäre, durchaus ein paar Backpfeifen verpassen hätte können. So war er unpünktlich, unverlässlich und wenn er etwas zu erledigen hatte, fing er oft erst im letzten Augenblick damit an.

Carola litt unter diesen Eigenheiten, wie sie bisweilen durchklingen ließ, vor allem seine Unpünktlichkeit brachte sie des Öfteren in Rage. Was schlimmer war, wie ich selber für mich registrierte: das Fehlverhalten ihres Freundes begann immer mehr auf sie selber abzufärben, sprich, sie verspätete sich auch immer wieder und ich merkte im Laufe eines halben Jahres, dass sich ihre Persönlichkeit zu verändern begann. Die hehren Lebensmaximen von Reinhard begannen also nach und nach auf sie zu wirken, sie war sehr oft gestresst und nicht mehr so fröhlich und lebenslustig. Dabei liebte sie diesen Mann, der ihr, wie sie mir einmal verraten hatte, wieder Stabilität in ihr Leben gebracht hatte, nach langer Einsamkeit…

Ob das die wahre Stabilität war? dachte ich mir oft. Carola war doch ein hübsches und liebenswertes Mädchen, das sich einen ebenso liebenswürdigen Partner durchaus verdient hätte. Stattdessen lebte sie mit Reinhard zusammen, der ihr, wie nicht nur ich meinte, alle Arbeit in der gemeinsamen Wohnung aufbürdete, sich wie ein Pascha bedienen ließ und ernsthaft davon sprach, dass er ein Kind von Carola wollte. Carola war sich in dieser Hinsicht ihrer Sache absolut nicht sicher, aber um Reinhard zu gefallen, begann sie sich mit der Sache anzufreunden. Ich schüttelte den Kopf, als sie mir mit leiser Unsicherheit davon erzählte. Ein Kind? Das hätte Carola nur noch fester an Reinhard gebunden, mir war das klar, aber Carola offenbar nicht.

Ehrlich gesagt, ich befasste mich viel zu oft mit dieser Geschichte. So gut kannte ich Carola schließlich nicht und warum sollte ich mich einmischen? Was wusste ich schon, was oder wen das Mädel wirklich brauchte? Und trotzdem… Ich rief mir an einem Samstagvormittag beim Putzen die Geschichte wieder in Erinnerung. Zugegeben, ich selber war mein ganzes Leben immer ein ziemlicher Freigeist gewesen, der sich ungern in einer Beziehung unterordnete. Das hatte mir nicht immer Glück gebracht, aber zum Hausmuttchen sah ich mich nicht geboren. Und das typische Weibchen, das dem Liebsten die Pantoffel, das Bier, die Fernbedienung und dann noch sich selbst ans Bett liefert – so sah ich Carola eigentlich auch nicht. Sie war doch noch jung und sollte sich amüsieren. Ich hatte so das Gefühl, dass sie eigentlich selber noch kein Kind wollte, aber sie schob ihre Wünsche und Bedürfnisse immer nach hinten.

Und für einen Mann vom Schlage Reinhards war das eine Einladung. Ich zog die Stirne in Falten, wenn ich an diesen selbstherrlichen Typen dachte. Der Kerl führte ein verwöhntes Leben, arbeitete bequem mit seinem Bruder in der Spenglerei seines Vaters, wo er nach Bedarf auftauchte oder auch nicht und trotzdem sein Gehalt einstreifte. Aus diesem Grund fehlte ihm auch jedes Gefühl, wie es in der Arbeitswelt wirklich zuging, was ihn nicht hinderte auf „Arbeitslose und Tachinierer“ zu schimpfen, auf „die Ausländer“ sowieso… Ich schaltete den Staubsauger wieder aus. Zugegeben, es ging mich nichts an, aber ich hatte das Gefühl, Carola in ihr eigenes Unglück laufen zu sehen. Und ich konnte nichts dagegen tun… Carola war erwachsen, und wie hätte sie wohl reagiert, wenn ich ihr ins Gewissen geredet hätte?

Eben. Ich zuckte die Achseln und verstaute den Staubsauger wieder. In diesem Moment läutete es an der Tür. Carola stand da, sie keuchte vor Aufregung und lachte mich an. „Hallo! Ich bin schwanger! Ist das nicht wunderbar?“ Ich zuckte zusammen, wie unter einer Ohrfeige. Irgendwie schaffte ich es trotzdem, Carola in die Wohnung zu bitten und ihr eine Tasse Tee anzubieten. Carolas Erzählung, dass sie gestern beim Frauenarzt gewesen wäre und der die freudige Diagnose bei ihr gestellt hätte, bekam ich nur nebenbei mit. Nein, ich konnte mich nicht für das Mädel freuen, nicht im Geringsten, die Weichen waren gestellt, der schlimmste Fall war eingetreten, und das Mädel begriff es nicht.

Mag sein, dass ich in meiner Einsamkeit nicht immer glücklich gewesen war, aber eines hatte ich relativ rasch begriffen. Besser alleine als mit dem falschen Mann beisammen. In der Hinsicht war ich oft verletzend kompromisslos, verletzend nämlich zu mir selber. Aber davon konnte ich jetzt nicht zu Carola sprechen, sie freute sich und ich schenkte ihr ein oberflächliches Lächeln. Carola merkte nicht das Geringste, was ich wirklich dachte, und als sie schließlich nach einer Stunde ging, umarmte ich sie noch. „…aber zur Taufe bin ich eingeladen, ja?“ Ich hörte meine Stimme, die freundlich und herzlich wirken sollte, aber sie klang so, als ob sie nicht mir gehören würde…

© Vivienne

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