Miss Multi-Pack

Jetzt regnete es schon wieder! Und ich hatte natürlich keinen Schirm mit! Missmutig suchte ich Schutz unter einem Vordach und wagte einen verstohlenen Blick zum Himmel… Würde die Sonne bald wieder durch die Wolkendecke durchbrechen? Oder sollte ich mich vielleicht einmal eine halbe Stunde in ein Kaffeehaus setzen, bis sich dieses Aprilwetter wieder normalisiert hatte? Naja, es sah tatsächlich nicht aus, als würde der Regen lange anhalten, auf der anderen Seite war ich mir aber auch bewusst, dass die Sonne sich wohl auch nicht wirklich durchsetzen würde können… Die Tropfen fielen nicht mehr so heftig, also ging ich weiter, schließlich war ich nicht aus Zucker. Außerdem musste ich mir keinen Stress machen, Ali war auf einer Schulung in Wien und ich hatte ohnedies keine Lust in unserer Wohnung zu warten, bis er sich in einer Pause bei mir meldete. Zugegeben, ich hätte mir besseres Wetter für diesen Einkaufsbummel gewunschen, aber abgesehen davon hatte ich jetzt Lust auf ein Eis und das gönnte ich mir auch weiter vorne beim Eiskönig. Es ging doch nichts über Schokoladeeis!

Einige Meter weiter vorne sah ich eine Person aus einem Supermarkt kommen. Schwer bepackt war die nicht mehr ganz junge Frau, sie trug einige große Einkaufstaschen und ich starrte ihr lange nach, ohne selber zu wissen warum. Schließlich gab ich mir selbst einen Ruck, denn mir war klar geworden, dass ich selber keinen besonders intelligenten Anblick abgegeben hatte. Aber diese Frau kannte ich doch von irgendwoher, dieser etwas unfeminine Gang, die lange, graubraune Haarmähne von einem bunt gemusterten Kopftuch kaum gebändigt – das musste doch Heidrum sein! Heidrun, die Putzfrau meiner ehemaligen Chefin und Reisebürobesitzerin aus der Provinz, die mit dem Bürgermeister verheiratet gewesen war (oder noch immer ist)! Was machte die Heidrun denn hier in Linz? Frau Bürgermeister, für die sie damals gearbeitet hatte, konnte ihr doch eine kleine Garconnaire in der Nähe der Landvilla, die sie mit Mann und Kind bewohnte, organisieren – damit die gute Heidrun immer verfügbar war…

Aber offenbar arbeitete Heidrun nicht mehr bei Frau Bürgermeister, denn sie wäre wohl von sich aus nie nach Linz zum Einkaufen gefahren. Die ganzen billigen Supermärkte, in denen Heidrun ihre Lebensmittel im Multipack und somit “spottbillig“ erwerben hatte können, gab es schließlich in jener provinziellen Kleinstadt auch… Es schien also so, als hätten sich Heidrun und Frau Bürgermeiser, die damals auch meine Chefin gewesen war und die meiner ehemaligen Busenfreundin Hanna, verkracht… Heidrun kam aus Deutschland, besser gesagt aus Niedersachsen, und der Dialekt, den sie sprach, war einigermaßen gewöhnungsbedürftig. Unsere Chefin verbiss sich oft das Lachen wegen Heidruns ungewöhnlicher und teils auch schwer verständlicher Ausdrucksweise, auf der anderen Seite schätzte sie aber auch Heidruns Einsatz und deren Bereitschaft, auch am Wochenende für größere Feste und Gesellschaften des Herrn Bürgermeister zu putzen, abzuwaschen und aufzuräumen… Unsere Chefin zahlte nicht besonders gut, das konnte ich schon an meinem Gehalt genau ermessen, aber Heidrun war eine gute Haut und vermochte auch mit wenig Einkommen gut zu wirtschaften…

Ich folgte der bunt gekleideten Heidrun noch immer mit meinem Blick – die Straßenbahnhaltestellen visierte sie erst gar nicht an. Vermutlich hatte sie kein Geld für Fahrscheine sondern nur – ich musste plötzlich grinsen – nur für ihre Multipacks. Mein Gott, Heidruns Multipacks waren schon legendär gewesen! Um Geld zu sparen las sich Heidrun die Werbung, die mit der Post kam, stets ganz genau durch und wenn wieder Multipacks angeboten wurden, dann war Heidrun nicht mehr zu halten gewesen. Mit großen Taschen machte sie sich auf den Weg in den jeweiligen Supermarkt und wenn es sich ergab, bat sie auch Bekannte, sie mitzunehmen: dann konnte sie nämlich besonders viel von den tollen Angeboten nutzen! Hanna, mit der ich damals noch eine recht innige Freundschaft pflegte, nahm Heidrun bei ihren Familieneinkäufen manchmal mit und daher wusste die Kollegin genau Bescheid, was die Putzfrau unserer Chefin alles einkaufte…

„Ob du es glaubst, oder nicht, Vivi“ an diese Erzählung von Hanna erinnere ich mich noch genau, „die Garconnaire, in der sie wohnt, ist wirklich winzig. Aber mitten drin steht ein riesiger Kühlschrank und der ist bis oben hin gefüllt mit Aktionsartikeln. Eine Fußballmannschaft könnte Monate davon leben, ich sage dir Monate, von dem was sie im Kühlschrank hat. Sie kauft sich keine neuen Kleider, sie kauft sich keine Schuhe, sie geht nicht zum Friseur sondern schneidet sich die Haare selbst. Aber sie kauft ein, als ob morgen der dritte Weltkrieg beginnen würde…“ Hanna unterbrach sich, weil sie kichern musste. „Es ist furchtbar, aber sie kann das Gehabe aus ihrer früheren Heimat, der ehemaligen DDR, nicht ablegen. Sie lebt hier, als könnte es wieder wochenlang nichts zu essen geben. Eigentlich dürfte ich gar nicht lachen, weil es im Grunde genommen so traurig ist, aber irgendwie ist es zu komisch. Gib dir das, Vivi, ich hatte noch nie mit so einem Menschen zu tun, ich verstehe es einfach nicht!“

Heidruns Gestalt verlor sich im Gewirr der Menschen auf der Landstraße. Jede Menge Erinnerungen waren in mir aufgetaucht, etwa als sich meine damalige Chefin einmal über Heidruns volle Einkaufstaschen lustig gemacht hatte: „Nimm zwei, zahl drei! Nicht wahr?“ Heidrun hatte daraufhin die Lippen zusammengepresst und hatte sich mit dem Staubsauger in ein Nebenzimmer begeben, ohne ein Wort zu sagen… Konnte durchaus sein, dass die Frau Bürgermeister einmal zu oft gespottet hatte und Heidrun darauf hin mit dem großen Kühlschrank nach Linz gezogen war: ins Paradies der Supermärkte und Aktionen!

© Vivienne

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