Mit fremden Federn schmücken…

Ich saß in einem Café, eine Tasse Capuccino und eine Schwarzwälderkirschtorte vor mir und lauschte mit halbem Ohr einer Bekannten, die ich beim Shoppen im C&A getroffen hatte. Iris – sie war einmal vor langer Zeit mit meinem Bruder Louis verbandelt gewesen – schob eben eine Portion Schlagobers in den Mund, redete aber trotzdem unermüdlich weiter. “…du kannst dir nicht vorstellen, wie mich das ärgert, jetzt glauben alle, Harry und ich hätte die Nacht miteinander verbracht und das stimmt doch nicht. Überhaupt nicht! Ich bin auf seiner Couch gesessen und habe gedöst, der Kerl hat mir doch nicht einmal ein Kopfkissen oder eine Decke gegeben. Sitzend, stell dir das vor, sitzend, habe ich geschlafen, weil mein letzter Zug weg war, und noch vor halb acht früh bin ich schon wieder weg, in die Arbeit… Was soll ich bloß tun?“

Iris klimperte mit ihren Wimpern und gab sich verzweifelt. Ich kaute hastig, wischte mir mit der Serviette über den Mund und sah sie skeptisch an. „Ok, dieser Harry Kleinmann, ist ein Kollege von dir, aber ist das wirklich so schlimm, wenn man jetzt bei euch in der Firma glaubt, ihr wärt euch nächtens näher gekommen?“ Iris schnaufte. „Es wäre nicht so schlimm, wenn man es halt so glauben würde, weil die Leute allgemein einfach eine schmutzige Fantasie haben. Aber Harry brüstet sich ja damit, er behauptet, wir hätten einen Rausch der Leidenschaft miteinander geteilt. Wenn mein Freund da was zu Ohren bekommt, ist der Teufel los. Mal abgesehen davon: ich gehöre nicht zu Kleinmanns Flittchen, die sich so gelegenheitshalber von ihm flachlegen lassen. Das wäre ja noch schöner!“

Ich nickte. Und ich musste einräumen, dass ich Iris durchaus verstand, weil ich selber schon einmal in einer ähnlichen Situation gewesen war. Mir fiel die Geschichte mit dem Kollegen ein (Gelegenheit mach Liebe?), der mich in der Arbeit immer von oben herab behandelt hatte, aber in jenem Hotelzimmer unerwartet davon ausgegangen war, ich würde mich willig von ihm vögeln lassen. Wozu es aber nicht kam – trotzdem glaubten nicht wenige Kollegen später, ich hätte dem Werben dieses Mannes nachgegeben. Was mir in meiner damaligen Pausbäckigkeit und Naivität noch peinlicher war, als es das Iris jetzt war. Aber mir fiel auch ein, wie ich es damals geschafft hatte, die Gerüchte verstummen zu lassen. Eine Freundin hatte mir geraten, den Spieß einfach umzudrehen und zu behaupten, der Herr Kollege hätte im Bett versagt. Zwar verstand ich damals nicht, warum man mir diese Geschichte überhaupt glaubte, aber der liebestolle Kollege reagierte nicht nur ziemlich erbost, er hielt sich auch plötzlich mit Details unserer angeblichen Liebesnacht zurück.

Andererseits war mir aber auch klar, dass ich Iris nicht denselben Tipp geben konnte. Sie wäre mir wohl an die Gurgel gesprungen – Iris war eine grundehrliche Person und außerdem hielt sie viel auf absolute Treue. Für sie wäre es undenkbar gewesen, dass man sie auch nur in die Nähe eines Seitensprungs bringen konnte. Was sollte ich ihr da raten? Iris ließ wieder einen Redeschwall vom Stapel, dem ich nur halbherzig folgte. Stattdessen ging ich meinen eignen Überlegungen nach. Was Iris da erzählte, war ein typisches Männerleiden, oder sagen wir mal so, ein Leiden von Komplexlern, die ihr eigenes Selbstwertgefühl steigern wollten. Und ehrlich – welcher Mann sieht sich nicht gerne als Frauenschwarm, dem das weibliche Geschlecht zu Füßen liegt?

Ich zuckte zusammen, als ich merkte, wie mich Iris erwartungsvoll ansah. Mich befiel eine leise Panik. Ich hatte keine Ahnung, was Iris mir eben erzählt hatte, und fragte mich, wie sie es wohl aufnehmen würde, wenn ich zugab, nicht zugehört zu haben. Iris wurde energisch. „Und? Sag schon! Findest du nicht, dass das eine gute Idee ist?“ Einen kurzen Moment überlegte ich, da begann ich zu nicken, immer schneller. „Aber selbstverständlich, du hast Recht, genau so solltest du es machen! Ich könnte dir selber nichts Besseres raten!“ Iris strahlte mich an, dann umarmte sie mich kurz und winkte der Servierkraft. „Du bist ja doch die Beste, © Vivienne, keine Freundin kann besser zuhören und Situationen treffender einschätzen. Du hast mir sehr geholfen!“ Wir zahlten, dann küsste mich Iris auf beide Wangen und lächelte mich noch einmal warm an, bevor sie den Ausgang ansteuerte.

Ich grinste ihr verhalten nach. Da hatte ich noch einmal Glück gehabt, Iris war sicher nett aber auch sehr oberflächlich und sie hatte nicht bemerkte, dass ich nicht bei der Sache gewesen war. Dafür hatte ich jetzt aber auch keine Ahnung, was Iris vorhatte und ob sie dem selbstherrlichen Kollegen eine Predigt halten wollte oder einfach ihren Freund bitten würde, dass er den Typen zur Rede stellt. Vorstellbar war bei Iris beides, aber auch noch jede Menge anderer Varianten, an die ich jetzt gar nicht dachte. Ich stand auf und zog meine Jacke an. Jedenfalls musste ich mich gedulden, bis mir Iris bei unserem nächsten Treffen Näheres berichten würde…

© Vivienne

1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (Keine Bewertungen)

Schreibe einen Kommentar