Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Jänner 2004



Die Liebe der Adele Gutenbrunner

Sophie Gutenbrunner, 18 Jahre alt und frisch gebackene Maturantin, seufzte.
Ihre Mama wusste doch überhaupt nicht, was angesagt ist.
Schlimm genug, dass sie sich selber wie eine unscheinbare Maus kleidete.
Nicht zu ändern.
Dass hatten Frauen Mitte Vierzig wohl an sich.
Aber dass sie nicht bereit war, ihr zur bestandenen Reifeprüfung diese unglaublich hübschen Sandaletten mit Schnürung zu kaufen, verstand sie nun überhaupt nicht.
Obwohl Adele Gutenbrunner schnell wieder einlenkte und der einzigen Tochter ein vergleichbares Paar vorschlug, schmollte Sophie.
Sie verstand es zu schmollen.
Damit hatte sie – als Scheidungsweise – immer bekommen, was sie wollte.
Von Mama und von Papa.
Sophie war nämlich nicht dumm.
Adele Gutenbrunner seufzte.
Nicht so sehr wegen der Tochter.
Sie fühlte sich nicht gut.
Die Hitze des Jahrhundertsommers setzte ihr zu.
Der Kreislauf.
Und dieser merkwürdige Druck auf der Brust.
Links, auf der Herzseite.
Aber Adele Gutenbrunner konnte nicht darüber nachdenken, was das zu bedeuten hatte.
„Mama, schau her! Sind die nicht wunderbar?“
Ihre Tochter war schon wieder fündig geworden.
Adele Gutenbrunner seufzte wieder.
Sie nahm ihr Taschentuch und wischte sich über die Stirn.
Es war so heiß in dem Einkaufszentrum.
Langsam wollte sie zu ihrer Tochter ein paar Meter weiter vorn gehen als der Boden unter ihr zu schwanken begann.
Adle Gutenbrunner war plötzlich ganz schlecht.
Brechübel.
Und bevor sie ihren Fuß auf den Boden setzen konnte, fiel sie rücklings zu Boden.
Den Aufschrei ihrer Tochter hörte sie nicht mehr.

Helmut Gutenbrunner war ein schüchterner, bebrillter junger Mann gewesen, als er seine Frau kennen gelernt hatte.
Adele war unscheinbar wie er gewesen.
Ihm hatte ihre ruhige Art gefallen.
Trotzdem hatte es Monate gedauert, bis er sich getraut hatte, sie in dem Lokal, in dem er sie öfter sah, das erste Mal anzusprechen.
Noch einmal so lange hatte es gedauert, bis sie ihn das erste Mal nach Hause mitgenommen hatte.
Eine verschämte erste Liebesnacht, der weitere folgen sollten.
Zwei Jahre später wurde geheiratet.
Sophie kam im übernächsten Sommer zur Welt.
Bildhübsch und nicht so unscheinbar wie ihre Eltern.
Sie schlug wohl nach der Schwiegermutter, die stets elegant gekleidet und unangemeldet kam.
Um nach dem Rechten zu sehen, wie sie betonte.
Adele war ihr nie gut genug gewesen.
Irgendwann zermürbten sie die Sticheleien ihrer Schwiegermutter zu sehr.
Sie wies ihr die Tür.
Von nun an hin der Haussegen schief.
Helmut hatte nie verstanden, warum seine Frau die Bemühungen seiner Mutter missdeutete.
Und schließlich war er ausgezogen.
Zurück an Mamas Herd.
Die wusste ja doch am besten, was er brauchte.
Sophie war bei ihrer Mutter geblieben.
Nur jedes zweite Wochenende verbrachte sie bei ihrem Vater.
Und nutzte die Schuldgefühle beider kräftig aus.
Adele war nach der Scheidung noch blasser und unscheinbarer geworden.
Konnte das schon ihr Leben gewesen sein?
Eine stille Sehnsucht befiel sie bisweilen.
Aber sie erlaubte sich nicht, ihr Raum zu geben.

Sophie kniete schreiend neben ihrer Mutter.
Ein Sanitäter nahm das Mädchen  bei der Hand und beruhigte es.
Seine Kollegen versorgten Adele.
Jeder Griff saß.
Binnen einer Minute lag die Frau auf einer Bahre und wurde an einer Menge Gaffender vorbei in den Rettungswagen gebracht.
Sophie schrie und heulte noch immer.
Eine Frau redete ihr gut zu und versprach sich darum zu kümmern, dass das Mädchen zu seinem Vater kam.
„Gibt es sonst jemanden zu verständigen?“
„Ich glaube nicht. Die Frau ist geschieden. Sie lebt allein.“
Die Tür des Rettungswagens wurde von innen geschlossen.
Frau Gutenbrunner hing an einer Flasche.
Ihr Puls war schlecht.
Das Herz schlug unruhig.
Die Sanitäter und der Notarzt blickten sich skeptisch an.
Mit Folgetonhorn raste der Einsatzwagen durch die Stadt.

Francesco.
Urlaub in Jesolo, Anfang der 90er Jahre.
Eine Freundin, Christa, hatte Adele eingeladen, mit ihr nach Italien zu fliegen.
Ihr Mann musste einen plötzlichen Termin wahrnehmen und konnte nicht mit.
Sagte er zumindest.
Und Christa hatte nicht lange gefackelt.
„Wird Zeit, dass du auch mal Urlaub machst. Und er kostet dich nichts.“
Nachdem Sophie gern mit ihrem Vater ins Gebirge fuhr, willigte Adele schließlich doch ein.
Ein charmanter dunkelhaariger Italiener hatte ihr beim Mittagessen die Tür aufgehalten.
Am Abend saß er bereits mit ihr an der Bar und stellte seine guten Deutschkenntnisse unter Beweis.
Am nächsten Tag fuhr er schon mit ihr in der Gegend herum.
Lud sie zum Essen ein.
Schenkte ihr Blumen.
Adele hatte anfangs geglaubt, er würde sie früher oder später nach Geld fragen.
Tat er aber nicht.
Dafür verführte er sie in der dritten Nacht ihres Urlaubs ganz im Stile eines Latin Lovers.
Adele glaubte sich so völlig außer Übung, aber Francesco schien Erfahrung mit liebeshungrigen Frauen zu haben.
In seiner Schule lernte sie in zehn Tagen mehr als in den sechs Jahren ihrer unglücklichen Ehe mit Helmut.
Adele war in Jesolo ein anderer Mensch geworden.
Sie sah anders aus.
Sie bewegte sich anders.
Sie redete anders.
Und vor allem liebte sie anders.
Christa hatte nur so gestaunt.
Der Abschied fiel Adele schwer.
Sie wusste, dass sie Francesco nie wieder sehen würde
Obgleich ihr dieser schwor, er würde ihr täglich schreiben.
Und einige Monate kam wirklich fast jede Woche ein leidenschaftlicher Brief…

„Ihre Ex-Frau hat großes Glück gehabt.“
Der Arzt trug sein Stethoskop in der Hand und ließ keinen Zweifel daran, dass er es eilig hatte.
„Nur ein Kreislaufkollaps. Aber sie muss sich jetzt schonen.“
Eindringlich wandte er sich an Helmut Gutenbrunner.
„Bitte keine familiären Diskussionen jetzt.“
Herr Gutenbrunner und seine Tochter betraten das Krankenzimmer.
Neben dem Fenster lag still und blass Adele Gutenbrunner in ihrem Bett.
Ihre Stimme war leise als sie ihre Familie begrüßte.
„Na, du machst Sachen!“ machte Helmut Gutenbrunner auf jovial.
Unsicher drückte er ihr einen Sommerstrauß mit Fresien in die Hand und küsste sie oberflächlich links und rechts auf die Wange.
Adele fiel auf, dass er noch immer dieselben Brillen trug wie vor über 20 Jahren, als sie sich verliebt hatten.
Nur dicker war er geworden und seine Harre hatten sich gelichtet.
Sonst unterschied ihn äußerlich nichts von dem Mann, den sie einmal geliebt hatte.
Und doch so unendlich viel.
„Mama, ich  hab dir die Schachtel aus deinem Wäscheschrank, um die du mich gebeten hast, mitgebracht.“
Sophie stellte ihr den verschnürten Karton auf die Konsole.
„Wie lieb von euch! Wenn ich nur nicht so müde wäre…“
Die beiden verstanden und verabschiedeten sich.
Adele Gutenbrunner wartete eine Minute, nachdem ihr Mann und die Tochter das Krankenzimmer verlassen hatten.
Dann holte sie aus ihrem Necessaire eine kleine Schere und schnitt die Schnur auf.
In der Schachtel befanden sich Briefe.
Briefe und Fotos.
Von Francesco…
Sorgfältig gehortet über die Jahre.
Adele hatte rosige Wangen bekommen während sie die Liebesbeteuerungen ihres Geliebten las.
Die Briefe waren vergilbt.
Aber das Feuer in ihnen lebte…

Es ist nie zu spät für die Liebe.
Steht zu dem Menschen, der euch aufrichtig liebt…

Vivienne

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