Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  März 2005


Kauf-Rausch

Inge spazierte langsam durch das Shopping-Center im Zentrum der Stadt.
Die Auslage des Juweliers hatte es ihr besonders angetan.
Wie die Preziosen funkelten!
Das Feuer der Edelsteine spiegelte sich in ihrer Pupille.
Einen Moment wollte sie durch die Glasscheibe greifen.
Dieser Ring!
Aber dann zog sie die Hand wieder zurück.
Nein.
Er war zu teuer.
Viel zu teuer.
Ein paar Schritte weiter vorne beim Modeschmuck blieb sie schließlich stehen.
Im raffinierten Licht der Lampen sah auch dieser Schmuck sehr schön aus.
Passte er nicht zu ihrem neuen Kostüm?
Chanell!
Sie lächelte glücklich.
Also Ohrringe und Ring mit großem rosa Stein.
Die Verkäuferin lächelte.
Steht Ihnen gut, gnä Frau.
Wollen Sie das Armketterl auch noch probieren?
Inge wollte.
Hübsch sah es aus.
Und sie überlegte.
Schließlich nickte sie.
Auch das Armketterl bitte.
Ich zahle mit der Kreditkarte.
Die Verkäuferin nickte.
Gerne, gnä Fau.
Soll’s sonst noch was sein?
Schauen Sie sich ruhig noch um.
Inge schüttelte den Kopf.
Danke.
Sie dachte an die beiden schweren Tragtaschen neben sich.
Für heute reichte es…
Für heute…
Inges Mund  verkrampfte sich kurz.
Sie legte die Kreditkarte hin.
Fünf Minuten später verließ sie das Geschäft.
Schwer bepackt.
Habe ich nichts liegen lassen?
Sie rief sich ein Taxi.
Das kostet zwar nicht wenig.
Aber so bepackt in der Straßenbahn?
Nein.
Das tat sie sich nicht an.
Womöglich ließ sie etwas liegen.
Womöglich wurde ihr etwas gestohlen.
Sie winkte einem Taxifahrer.
Minuten später nahm sie Platz.
Zufrieden.
Das oberflächliche Gerede des Lenkers plätscherte an ihr vorbei.
Sie dachte an all die schönen Dinge, die sie heute gekauft hatte.
Und sie freute sich schon auf das Auspacken daheim.
Der Taxifahrer war ein Kavalier.
Er trug ihr die Taschen bis an den Eingang des Wohnblocks.
Inge dankte ihm.
Gott sei Dank hatte sie noch genug Geld in der Börse gehabt.
Im ersten Moment hatte es ihr einen Stich gegeben.
Taxi fahren wurde auch immer teurer.
Sie holte die Post im vorbeigehen.
Dann fuhr sie mit dem Lift in den dritten Stock.
Öffnete die Wohnungstür.
Fast wäre sie nicht vorbeigekommen.
Lauter Vitrinen.
Jede Menge Nippes.
Parfümflakons.
Kosmetika.
Und ein riesiger Kleiderkasten.
Randvoll mit Designerkleidung.
Chanellkostümen.
Oder solche, die so aussahen.
Handtaschen.
Schuhe…
Unendliche viele Paar Schuhe.
Inge kämpfte sich bis zum Tisch.
Dann begann sie ihre Einkaufstüten auszuräumen.
Stellte alles hin.
Der Schmuck.
Der neue Duft von Dior.
Die extravaganten Schuhe.
Inge setze sich dazu.
Strahlte alles an.
So tolle Sachen.
Und sie alle gehörten ihr!
Nach ein paar Minuten wich das Lächeln Nachdenklichkeit.
Sie wusste nicht warum.
Früher hatte sie sich tagelang an diesen neuen Sachen erfreuen können.
Irgendwie war das anders geworden.
Ihre Hand tastete nach der Post.
Was war da heute gekommen?
Der unterste Brief ließ sie erblassen.
Die Bank.
Sie hatte es schon die längste Zeit befürchtet…
Kein Kreditrahmen mehr.
Sie starrte halb abwesend auf den Schmuck.
Im Licht ihres Lampenschirms wirkte der Glanz der rosa Steine billig.
Oder lag das nur an dem Brief der Bank…?
Ihre linke Hand mit dem Schreiben sank nach unten.
Was hatte sie da nur alles zusammengekauft!
Die Hälfte der Sache konnte sie gar nicht brauchen.
Oder sie trug sie nie.
Chanell…
Hatte ihr das nicht eine Freundin eingeredet?
Sie dachte an Gernot.
Als er noch bei ihr war, hatte sie nie so viel gekauft.
Nicht annähernd.
Aber was sollte sie sonst mit ihrer Zeit anfangen?
Seit sie so allein war?
Inge blickte auf den Boden.
Ohne ihn wahrzunehmen…

Vivienne

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