Olympiafahrt mit Hindernissen

Alle vier Jahre wieder Olympische Winterspiele und jedes Mal wieder stellt die Abfahrt der Herren einen der absoluten Höhepunkte dar! Und ich gebe zu, ich habe immer so meine besonderen Erinnerungen an die Winterspiele – wegen der Ereignisse, die ich damit verknüpfe – waren sie nun sportlicher oder privater Natur. Franz Klammers Olympiasieg im gelben Anzug wird mir immer unvergesslich bleiben – wir sprangen daheim alle von unseren Stühlen auf, als der Kärntner wie erhofft mit Startnummer 15 und mit Bestzeit ins Ziel brauste. Auch der Triumph von Leonhard Stock vier Jahre später in Lake Placid hat sich unauslöschlich in meinen Ganglien eingebrannt – als Ersatzmann war der Verletzungsgeschädigte noch ins Team gekommen, und schließlich drängte er den regierenden Weltmeister Sepp Walcher noch aus dem Team – mit Trainingsbestzeiten am laufenden Band.

Auch die Spiele 1984 in Sarajewo werden mir bestimmt in Erinnerung bleiben – zwar nicht wegen der sportlichen Erfolge unserer Sportler (die waren in jenem Jahr dünn gesät) aber dafür wegen einer Beinahe-Katastrophe der anderen Art. Am letzten Tag der Spiele war unsere Wintersportnation noch immer medaillenfrei – das war besonders für meinen Vater und für meine sportlichen Brüder ein riesengroßes Unglück. Genau aus dem Grund zitterten wir in banger Hoffnung der Herrenabfahrt entgegen, wo ein Österreicher – so hoffte auch ganz Österreich – ja doch noch zu Edelmetall kommen sollte. Ich stand Sonntag wie so oft am Herd und kümmerte mich um den Schweinsbraten. Am Lampenschirm über dem Küchentisch war eine der Glühbirnen ausgebrannt. Meine Mutter hatte eine neue Glühbirne geholt und versuchte sie zu wechseln.

Ich weiß nicht mehr im Detail, wie es passierte, aber plötzlich hatte meine Mutter das Gewinde in der Hand, der kleine Lampenschirm landete am Boden und mit einem Krachen fiel der Schutzschalter. Die ganze Familie erschrak. Mein Vater, der sich schon den ganzen Vormittag auf den Abfahrtslauf in einer knappen halben Stunde gefreut hatte, beeilte sich, das Problem sofort wieder zu beheben. Aber das war gar nicht so einfach, auch einige Sicherungen mussten noch gewechselt werden, und schließlich stellte sich heraus, dass wir trotz aller Bemühungen in einem Teil des Hauses keinen Strom haben würden. Wann immer eine Sicherung gewechselt wurde, brannte sie sofort wieder durch – weil nämlich die Drähte am defekten Teil des Lampenschirms völlig frei lagen. In der Küche selber waren wir durch einen separaten Stromkreis nicht beeinträchtigt, der Schweinsbraten schmorte weiter, aber ich sah die Panik in den Augen meines Vaters flackern. Olympischer Herrenabfahrtslauf – und kein Strom in großen Teilen des Wohnzimmers!

Wir mussten improvisieren, und eine Notlösung war nicht einfach zu finden. Schließlich hatten wir eine Idee, die wir mit vereinten Kräften umsetzten: ein Verlängerungskabel mit drei Steckdosen war uns behilflich, das Fernsehgerät, und eine Stehlampe anzuschließen. Der Abfahrtslauf war damit in letzter Sekunde gerettet, und die Stehlampe sorgte für genug Licht, bis der Elektriker am nächsten Morgen gerufen werden konnte. Wir mussten halt ein wenig auf den Kabelsalat achten, der sich da unerwartet auftat, aber war das nicht ein vergleichsweise geringes Problem als dafür die letzte Chance auf Olympiagold zu verpassen? Mein Vater und meine Brüder saßen in der ersten Reihe fußfrei, als das Rennen gestartet wurde und schließlich Jimmy Steiner, der vierte Mann, als Dritter der Abfahrt doch noch unsere nationale Ehre rettete. Österreich blieb also doch nicht medaillenlos – und wir nicht ohne Strom!

Der Elektriker, der am nächsten Tag verständigt wurde, reparierte das Malheuer wieder und installierte auch gleich einen neuen Lampenschirm. Alles in allem halb so schlimm, wenn man bedenkt, dass die Familie auch um den olympischen Abfahrtslauf kommen hätte können – was doch schlimmer gewesen wäre, als wenn Österreich wirklich ohne Medaille geblieben wäre. Oder? Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, sage ich, und wenn er erst Elektrizität gewohnt ist, akzeptiert er nur ungern eine Einschränkung in seiner Bequemlichkeit. Für uns dauerte das Malheur schließlich nur einen Tag, aber wenn man bedenkt wie viele Jahrhunderte die Menschen ganz ohne die Annehmlichkeiten der Elektrizität auskommen mussten, ist es schon seltsam, wie schnell wir uns davon versklaven ließen…

© Vivienne

1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (Keine Bewertungen)

Schreibe einen Kommentar