Postler auf Abwegen

Die Post hatte schon früher keinen allzu guten Ruf, zumindest, was die Schnelligkeit bei Zustellungen betrifft. Schon der Operettenkomponist Carl Zeller legte in seiner Operette „Der Vogelhändler“ der Christl von der Post wissend den fast legendären Satz „…denn bei der Post geht’s nicht so schnell!“ in den Mund. Man mag pauschal den Angestellten oder den Beamten bei der Post unrecht tun damit, der Volksmund hat aber sicher nicht umsonst schon früh erkannt, dass Gemächlichkeit dort nicht immer klein geschrieben wird. Auch wenn ich heute mein Konto bei der Post habe und dort im Wesentlichen recht zufrieden bin – mit dem Service und mit der Behandlung: Unseren alten Postler, der vor mehr als dreißig Jahren die Briefe und die Pakete bei uns zustellte, werde ich trotzdem nie vergessen…

Albert wies mich neulich auf einen Zeitungsartikel hin. „Schau her, Vivi! Unfassbar, da hat in Wien die Versendung eines Partezettels von einem Bezirk zum anderen über eine Woche gedauert! Kannst du dir das vorstellen?“ Das konnte ich in der Tat, ganz im Gegenteil, unser alter Postler aus meiner Heimatgemeinde tauchte sofort wieder vor meinem geistigen Auge auf. Ali sah mich ungläubig an. „Was willst du mir damit sagen? Euer alter Briefträger schlägt das alles?“ Ich grinste. „Du hast keine Ahnung, Ali. Der war ein Unikum, selbst für einen pragmatisierten Postler ein Sonderfall.“ Ali wirkte noch etwas skeptisch, aber ich merkte, dass er schon verstohlen grinste. „Sag schon – was hat der Kerl denn ausgefressen?“

Ich setzte mich zu meinem Mann. Ali schenkte mir ein Glas Mineralwasser ein, und ich begann zu erzählen… “Ich weiß eigentlich nur mehr, dass er Maurer hieß, Franz Maurer, sonst könnte ich heute nicht mehr viel über ihn sagen. Aber mal davon abgesehen: unsere Gemeinde war immer schon relativ unüberschaubar, weil zersiedelt und deshalb musste der gute Mann damals noch eher wenige Siedler auf einem großen Gebiet betreuen. Und dafür…“ Ich grinste Ali viel sagend an. „..dafür musste der Mann sich immer wieder stärken!“ „Aha.“ Ali begann zu begreifen. „Wo holte er sich seine Stärkungen?“ Ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken. „Bei unserem Greißler, oder besser gesagt, bei unserem damaligen Greißler, mittlerweile ist der in Pension. Aber damals gab es dort um 7:00 Uhr früh erst einmal ein Frühstück, sprich eine Wurstsemmel oder einen Gabelbissen, bevor der Briefträger die Arbeit auf seinem Drahtesel anging. Später am Vormittag, nach den ersten Postzustellungen, holte sich Maurer dort auch noch eine Jause, Wurst in Essig und Öl oder eine Maurerforelle, dazu das erste Bier.“

Mein Mann nickte wortlos. Ich trank einen Schluck Mineral und fuhr fort. „Mittags sperrte der Greißler zu, das heißt zum Mittagessen um spätestens halb eins kehrte der eifrige Briefträger in unserem Wirtshaus im Dorf ein. Dort labte sich der arme Mann nach seinen Leistungen und Anstrengungen mit eher deftigen Speisen, zum Beispiel mit einem Gulasch oder einem gebratenen Leberkäse mit Spiegelei. Dazu gab es wieder ein Bier und oft das erste Schnapsel, manchmal auch zwei. Je nachdem ob der Magen drückte. Am frühen Nachmittag machte sich der gute Mann dann wieder auf seinem Fahrrad an die Arbeit. Im besten Fall schaffte er in der Zeit die letzten Siedler, zu denen auch immer wir gehörten. Wenn nicht, dann musste er noch einmal einkehren, wieder beim Greißler, der um 15:00 Uhr wieder aufsperrte. Noch ein Schnapsel, vielleicht ein Bier und den neuesten Tratsch. Im schlimmsten Fall bekamen wir die Post und die Zeitung dann um 15:30 Uhr oder noch später. Und der Mann schwankte bisweilen schon auf dem Rad..“

Ali lachte laut. „Das ist aber nicht dein Ernst, oder? Das klingt wie aus einem Filmlustspiel aus den 50er Jahren!“ „Nein!“ protestierte ich. „Das war wirklich so, der Mann hätte bei diesem Job Stunden früher fertig sein müssen. Kaum eine Tageszeit, bei er man ihn nicht im Wirtshaus oder beim Greißler angetroffen hätte. Aber es zeichnete ihn halt eine besondere Lebensmentalität aus, der Kerl hatte es nie eilig und er ging seinen Job eher gemütlich an. Und außerdem hatte er kein besonderes Bedürfnis heimzukommen – um seine Ehe stand es nicht besonders gut. Seine Frau muss eine von der hantigen Sorte gewesen sein. Wie auch immer. Aber es konnte natürlich nicht so weiter gehen – die Leute regten sich auf, weil die Post immer so spät kam und außerdem wollten sie es sich nicht mehr gefallen lassen, dass er sie alle duzte. Ein anderer Wind begann zu wehen…“

Ali schüttelte den Kopf und grinste breit. „Na, schade, das klingt ja fast wie die gute alte Zeit. Haben Sie diesen Franz Maurer dann pensioniert?“ „Nein!“ Ich musste widersprechen. „Das Wohngebiet bei uns wurde aufgeteilt und Franz Maurer wurde nach Linz versetzt, zum Briefe sortieren. Eine relativ humane Lösung, auch wenn ihm der Wechsel sichtlich wehtat. Schließlich verlief sein Leben längst nicht mehr so kommunikativ und abwechslungsreich wie früher, als er in den ganzen Klatsch und Tratsch bei uns involviert war. Aber abgesehen davon: immerhin bekamen wir nach dem Wechsel die Zeitung viel früher. Und wenn du öfter die Post erst so spät bekommen würdest – am Nachmittag interessiert dich die Tageszeitung doch auch nicht mehr, oder?“ Ali seufzte. „Das stimmt schon, Vivi, aber der Mann war ein Original. Man könnte fast eine Fernsehserie über ihn machen, findest du nicht?“

© Vivienne

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