Selbstverantwortung

Neulich Abend fiel mir ein provokantes Thema im Web auf.
Die Materie teilte die Meinungen.
Kernaussage:
Du bist eigenverantwortlich.
Du bist verantwortlich für deine Gefühle.
Du und sonst niemand.
Red dich nicht immer auf die anderen aus!
Ich stutzte.
Las mir die Kommentare dazu durch.
Und begann nachzudenken.
Mag schon sein.
Natürlich bin ich für meine Emotionen verantwortlich.
Dass ich dafür Sorge trage, dass es mir gut geht.
Dass ich mich nicht aufrege.
Wegen Banalitäten.
Dass ich nicht aufbegehre.
Wegen Belange, die ich nicht ändern kann.
Und vor allem auch:
Ich muss niemanden meinen Ärger fühlen lassen.
Jemanden als Fußabstreifer benutzen.
Nur weil ich selber sauer bin.
Das räume ich sicher ein.

Aber.
Diese Behauptung enthält auch viel Zynismus.
Zynismus und Selbstgerechtigkeit.
Für Gemobbte, zum Beispiel.
Denen damit praktisch suggeriert wird:
Du bist selber Schuld.
Wenn du dich schlecht fühlst deswegen.
Wegen ekelhafter Kollegen.
Wegen eines miesen Arbeitsklimas.
Du musst ja nur gut drauf sein.
Dann macht dir das nichts mehr aus!
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Für Menschen, die verlassen wurden.
Die einen nahen Menschen verloren haben.
Die in einer unglücklichen Beziehung leben.
Für alle, die vom Leben nicht immer sanft behandelt wurden.
Denen zu sagen:
Du bist eigenverantwortlich.
Schau auf deine Gefühle.
Nur du bist für sie verantwortlich.
Das ist schon starker Tobbak.
Ehrlich gesagt.
Ich würde mir diese Zurechtweisung auch verbieten.
In so mancher Situation…
Denn Gefühle werden so oft durch äußere Ereignisse beeinflusst.

Ich muss mich nicht in Selbstmitleid suhlen.
Mich im Leid kaputt machen.
Mich in negativen Gefühlen völlig zerfressen.
Aber ich bin überzeugt.
Auch negative Gefühle gehören zum Menschen.
Manchmal braucht er Leid und Tränen.
Um sich auch wieder gut fühlen zu können.
Irgendwann.
Trauer darf man durchaus zulassen.
Und manchmal auch ein wenig Wut oder Zorn.
Wir sind Menschen.
Emotionen machen uns erst aus.
Ehrlich gesagt:
Wenn einer immer nur fröhlich ist.
Ständig so gut drauf, dass es dich schon abstößt.
Weil es nicht mehr echt ist.
Sondern nur mehr aufgesetzt wirkt.
Dann fühle ich mich mit dem auch nicht wohl.

Ich bin verantwortlich für meine Gefühle?
Bis zu einem gewissen Grad.
Wenn mich aber ein unerwarteter Schlag trifft:
Wer will mich verurteilen?
Weil ich weine?
Vielleicht hemmungslos?
Weil ich nicht anders kann?
Ich bin Mensch.
Ich kann mich durchaus kontrollieren.
Aber Gefühle drücken mein Innerstes aus.
Unverfälscht.
Ich bin Mensch.
Durch meine Emotionen.
Und die kommen nicht auf Knopfdruck.
Und die sind nicht immer positiv.
Weil das unmöglich ist.
Und verantwortlich sein kann ich nur bedingt dafür.
Weil ich sie nicht immer beeinflussen kann.
Weil so vieles von außen auf uns einströmt.

Natürlich muss ich mich nicht austoben.
Oder vollends gehen lassen.
Aber ich darf sanft mit mir umgehen.
Nachsichtig.
Und mir selber Zeit zugestehen.
Und auch negative Gefühle.
Weil ich sie eben nicht auf Knopfdruck abrufe.
Wie eine Datei im Computer.
Und außerdem.
Wer bestimmt denn, in wen ich mich verliebe?
Suche ich mir das etwa auch aus?
Kann ich das bestimmen?
Die Wahrheit ist:
Der Blitz schlägt ein.
Oder nicht.
Ich kann es nicht bestimmen.
Nicht bewusst!

Mein Fazit, einmal mehr.
Absolute Wahrheiten gibt es nicht.
Und keine Lösungen, die für jeden zutreffen.
Deshalb Vorsicht bei solchen Pauschalierungen…

© Vivienne

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