Wiener Schnitzel nach Art des Hauses

Albert und ich saßen Samstagvormittag beim Frühstück. Ich hatte die unvermeidliche Tasse Kaffee vor mit stehen, den ich seit ein paar Wochen mit Süßstoff zuckerte. Meine Zigarette ruhte am Aschenbecher während ich mir ein Butterbrot schmierte. Albert schenkte sich seinen schwarzen Kaffee gerade ein und drehte mit der linken Hand das Radiogerät lauter. „Horch, Vivi! Sie krönen gerade den Mobbingkönig! Das ist zu komisch!“ Ich hob die Augenbrauen, noch etwas müde, und lauschte der Doppelmoderation. „Auf was für Ideen die Leute kommen!“ Ich schüttelte nach einer Weile den Kopf. „Ein Wettex-Tuch, paniert als Schnitzel. Merkwürdiger Spaßvogel!“

Mein Mann allerdings krümmte sich vor Lachen. „Hast du gehört? Hast du gehört? Nach drei Bissen erst ist er drauf gekommen! Drei Bissen Wettex intus!“ Ich musste wirklich noch sehr müde sein, denn mir blieb die Komik der Situation eher verborgen. Vielleicht dachte ich aber nur daran, wie leicht ich selber Magenschmerzen und Ähnliches bekam, wenn ich gewisse Nahrungsmittel wie Senf oder überbackenen Käse zu mir nahm. Also lächelte ich meine bessere Hälfte milde an, die sich gerade an einem Wurstbrot delektierte, dabei über das ganze Gesicht strahlte und einen überaus vergnügten Eindruck auf mich machte.

„Sag…“, ich wählte vorsichtig nach den richtigen Worten. „Was ist eigentlich so komisch, wenn ein Mann ein Stück Wettex paniert und es seinem Kollegen unterjubelt? Wettex besteht aus Kunststoff und ist sicher nicht gesund…“ Albert schlürfte seinen Kaffee und blinzelte mir zu. Er kaute sein Brot sorgfältig, dann wandte er sich wieder mir zu. „Du magst schon recht haben, wenn du betroffen bist, ist das nicht so lustig, aber weißt du, liebe Vivi, es erinnert mich an etwas, das ich selber schon verbrochen habe…“ Da schau her, jetzt verstand ich, warum Ali so amüsiert war. Er hatte sich gewissermaßen bestätigt gefühlt. Alberts vergnügte Augen zeigten mir, wie er darauf brannte, sich mir mitzuteilen und als ich zustimmend nickte, stellte mein Mann sein Kaffeehäferl wieder auf den Tisch.

„Vivi, es ist schon weit über zwanzig Jahre her als ein Onkel meines Vaters einige Zeit bei uns regelmäßig ein und ausging. Onkel Richard war ein verschrobener alter Mann, sehr eigen und außerdem erzkonservativ. Der Mann lebte schon lange allein, seine Frau war an einem komplizierten Herzleiden gestorben und meine Eltern hatten versprochen sich um ihn zu kümmern. Jeden Sonntag kam Onkel Richard zur Kaffeejause, manchmal auch zum Mittagessen und für meine Schwester und mich war das jedes Mal eine Tortur, weil wir nett und artig sein und uns vor allen Dingen auch sehr brav und ordentlich verhalten mussten.“ Ich grinste. „Das ist sicher vor allem dir schwer gefallen, nehme ich an!“ Albert nickte. „…meine Schwester und ich waren doch beide schon Teenager, die sich besseres wussten, als einen alten Mann über die guten alten Zeiten und diese verdorbene Welt schwadronieren hören wollten. Das musst du verstehen.“

Natürlich verstand ich das. In meiner großen Familie hatte es ähnliche Verwandtschaftsbesuche gegeben und da hatten wir auch den Mund halten müssen. Tante Annabell, die alle paar Jahre aus Innsbruck angereist kam, verteilte sogar immer Geschenke, wenn jemand von uns besonders brav oder klug in Erscheinung getreten war. Aber Albert fuhr mit seiner Geschichte wieder fort und holte mich wieder in die Gegenwart. „Onkel Richard pflegte am Ende seines Besuches immer unsere Zimmer zu kontrollieren. Wer ordentlich aufgeräumt hatte, bekam zwanzig Schilling.“ Albert seufzte leise in der Erinnerung. „Meistens hat meine Schwester das Geld eingeheimst, ich hasste aufräumen und deswegen schimpfte mich mein Onkel immer, dass nichts rechtes aus mir werden würde…“

„Recht hat er behalten!“ warf ich keckerweise ein, worauf mir Albert einen irritierten Blick zuwarf. Dann begriff er erst und schmunzelte breit. „Na, wie du meinst. Karriere in der Firma von Rossecker ist sicher nichts rechtes, da stimme ich dir zu. Aber im Grunde waren uns meine Schwester und ich einig, dass wir nicht glücklich über die Besuche von Onkel Richard waren. Und einmal im Fasching kamen wir auf die Idee, ihm einen Streich zu spielen. Zu Onkel Richards Geburtstag war er bei uns zum Essen eingeladen und es sollte Wiener Schnitzel mit Pommes Frittes geben. Meine Schwester und ich boten sich an, unserer Mutter zu helfen, die noch mit Putzen beschäftigt war.“

„Ich hatte mit offenem Mund zugehört. „Ihr habt doch nicht wirklich dem armen alten Mann…“ Albert kicherte, sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Schuldgefühl und purem Vergnügen. Ich drehte mich kurz schockiert von Albert weg. So ein dummer Streich, Abgründe taten sich da oft auf, wenn mein Mann aus der Schule plauderte! Aber witzig war es irgendwie doch… „Meine Schwester schnitt aus einem blauen Wettextuch ein großes Schnitzel aus, salzte und panierte es und buk es im heißen Fett schwimmend heraus. Es sah wunderschön goldgelb aus und ich trieb es sogar noch auf die Spitze, als ich meinte, Onkel Richard gebühre zu seinem Ehrentag das schönste Schnitzel…“

Zum ersten Mal bei der Geschichte kicherte ich. „Du… wie konntest du nur?“ Durch das Kichern wirkte mein Protest sehr milde. Onkel Richard aß das Schnitzel bis auf den letzen Bissen und meinte, so gut, hätte er lange nicht gegessen. Meine Schwester bekam extra zwanzig Schillinge, weil sie so super gekocht hatte. Die wir dann aber redlich teilten und so fröhlich hatten wir keinen Nachmittag zuvor mit Onkel Richard verbracht. Nicht einmal, dass uns unsere Eltern später hinter die Schliche kamen, weil der Rest vom Wettex-Tuch im Abfall auftauchte, änderte etwas an unserer Freude. Aber kochen durften wir seither nicht mehr für Onkel Richard…“

Nach einem Fall von vor ca. fünfzehn Jahren…

© Vivienne

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