Zermürbt

Meine frühere Chefin Blanca Altmann, die ich Ihnen, liebe Leser, schon in meiner Geschichte „Zu spät…“ vorgestellt habe, war ohne Zweifel eine recht schwer erträgliche Vorgesetzte. Nicht nur, dass ich selber kaum eine Möglichkeit hatte, es ihr einmal recht zu machen, weil sie mich (oder auch andere) derart geschickt in brenzlige Situationen manövrierte, dass man nur wie ein Idiot oder wie der sprichwörtliche begossene Pudel dastehen konnte – erstrebenswert war keine dieser Positionen und nicht nur mir selber fehlte der Mut, ihr einmal entgegen zu treten oder ihr zu widersprechen. Wenngleich ihr Job in dem Meinungsforschungsinstitut alles andere als leicht zu managen war und wenn mir auch bewusst war, dass viel von ihrem Gehässigkeit und ihre Boshaftigkeit aus ihrem unerfüllten Kinderwunsch resultierte – ich mochte sie trotzdem nicht. Vielleicht auch deswegen, weil sie Regina, eine Kollegin, fertig gemacht hatte…

Regina Möstl war die rechte Hand von Frau Altmann, sie war verheiratet und hatte einen kleinen Sohn, Simon. Ihr Mann war in der Marketingabteilung einer kleinen Firma in Ansfelden angestellt. Beide, sie und er, hatten studiert und sich während des Studiums in Linz kennen gelernt. Nach der Geburt des Buben war Regina zusehends dicker geworden, was ich überzeugt auf die Schwangerschaft zurückführte. Aber die Kollegen schüttelten den Kopf zu dieser meiner Vermutung. Nein, aus der Karenz sei Regina sogar ziemlich schlank zurückgekommen, dicker geworden war sie erst, als sie Frau Altmann unterstellt worden war, weil deren Assistentin vor etwa drei Jahren gekündigt hatte.

Heute würde mir eine derartige Geschichte Reginas ganzes Seelenleben offenbaren, damals schüttelte ich den Kopf darüber und rätselte, wie das passieren hatte können, dass Regina so dick geworden war. Wie konnte ich denn auch in meiner Naivität begreifen, dass Regina sich regelrecht einen Panzer aus Fett angefressen hatte, weil Blanca Altmann sie als ihre direkte Vorgesetzte ihre letzte Kraft kostete? Ich mochte Regina ehrlich, sie war eine ruhige, angenehme Person und ich habe nie bemerkt, dass sie die Fassung verloren oder wütend geworden wäre. Nie – bis ich einmal unter vorgehaltener Hand hörte, dass sie, Regina, schon lange nicht mehr ohne Beruhigungsmittel auskam. Ich traute meinen Ohren kaum – das konnte doch nicht wahr sein! Beruhigungsmittel – wozu hätte die denn Regina gebraucht?

Aber das Gerücht war keine Lüge, ganz im Gegenteil. Als ich mir an einem Freitagnachmittag einmal eine Tasse Kaffe aus der Betriebsküche holen wollte, traf ich Regina dort an – in Tränen aufgelöst. Mir fehlten die Worte, ich hatte keine Ahnung, dass Regina so verzweifelt war. Aber ich goss ihr mechanisch eine Tasse Tee auf und setzte mich zu ihr. Regina war mir dankbar und begann zu erzählen. Und so nach und nach wurde mir bewusst, dass ich es zwar nicht leicht hatte mit Blanca Altman, aber für Regina war der Job schon lange die Hölle. Kleine Bösartigkeiten Tag für Tag, ständig Überstunden, obwohl sie wusste, dass Regina um spätestens 17:00 Uhr den Buben aus dem Hort holen musste. Schikanen, Beleidigungen und Herabwürdigungen – ein Klima der Zusammenarbeit, an dem Regina zu zerbrechen drohte.

„Seit Wochen habe ich Kopfschmerzen!“ gestand Regina mir an dem Nachmittag unter Tränen. „Unerträglich! Das letzte beim Einschlafen, das Erste beim Erwachen – der Kopf droht zu zerspringen. Dabei bin ich organisch gesund, kein Tumor, keine Entzündung, gar nichts. Aber ich ertrage es nicht mehr länger!“ Reginas Stimme ging in ein herzzerreißendes Schluchzen über. Heute wäre mir sofort klar, dass Reginas Schmerzen einen Aufschrei der Seele darstellten, ein Aufbäumen, ein Auflehnen gegen Blanca Altmann, die ihr den Job zur Hölle machte und außerdem ihr privates Leben zusehends vermieste, nein, zerstörte. Regina befand sich am Rande eines Kolaps, das begriff ich zwar auch nicht, aber ich nahm sie kurz in meine Arme und drückte sie fest. „Geh ein paar Tage in Krankenstand!“ riet ich ihr, was letztlich gar nicht so schlecht war.

Regina meldete sich tatsächlich am Montag krank, sie legte sich sogar in ein Spital und dort fiel sie einem verständnisvollen Arzt auf. Das habe ich später von Regina selber einmal erfahren. Der Mann war psychologisch versiert, und verstand hinter den Symptomen der Kopfschmerzen und Reginas seelischer Verfassung zu lesen. Über ein halbes Jahr war Regina im Krankenstand, dann stellte sie einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension. Sie sah sich außerstande mit diesen Kopfschmerzen weiter zu arbeiten. Blanca Altmann rotierte schon die ganze Zeit und versuchte immer wieder Regina anzurufen und sie zurück in die Arbeit zu kommandieren. Aber Reginas Mann wusste das zu verhindern, und noch ein Jahr später ging Reginas Antrag durch. Ihre Kopfschmerzen haben sich, das habe ich später gehört, im Lauf der Zeit danach doch deutlich gebessert…

© Vivienne

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