Zu beschäftigt für das Glück

Der Mensch ist nicht gern allein, irgendetwas zieht ihn fast mechanisch zu den anderen und oftmals auch ganz besonders zu einem speziellen lieben Menschen – um einfach mehr auszutauschen als nur Worte… Aber in unserem schnellen, hektischen Leben hat sich viel verloren von der Ungezwungenheit und Lockerheit, mit der sich Menschen früher näher gekommen sind. Und das auch noch viel leichter… So passiert es, dass man – vergeblich, wie man meint, auf der Suche – sehr regelmäßig mit einem Menschen konfrontiert wird, der einem zwar sympathisch ist, den man aber nicht näher beachtet. Und gerade der oder die ist vielleicht das Wesen, nach dem man sein ganzes Leben lang gesucht hat!

Martina Ganglberger ist ohne Zweifel eine tolle Frau. Nicht nur weil sie eine hübsche Person ist und sehr gepflegt durch’s Leben geht: sie ist hoch intelligent, spielt sie doch seit Jahren in einem Schachclub, und auch wenn ich selber nicht dumm bin: Schach liegt mir nicht, das sagte ich ihr auch gleich, als sie sich als neue Mitarbeiterin der Buchhaltung in unserer Abteilung bei mir vorstellte. Was auch sonst als Buchhaltung! dachte ich mir damals, aber Martina Ganglberger hat irgendwie zwei Gesichter – kein Wunder als Zwillingegeborene! – die sie kongenial miteinander vereint. Auf der einen Seite die Genauigkeit und die Begeisterung für die trockene Materie und für Zahlen, auf der anderen die quirlige, ansteckende Fröhlichkeit, mit der sie bei gemeinsamen Treffs immer wieder für Lacher sorgte…

Aber Martina Ganglberger war bei ihrem Eintritt in die Firma schon eine Weile Single. Eine langjährige Beziehung der Mittdreißigerin war vor einem guten Jahr gescheitert und auch wenn Martina immer meinte, sie hätte sich recht gut daran gewohnt, allein in ihrer Wohnung zu leben, ganz nahm man ihr das nicht ab. In eher stillen Momenten verrieten sie ihre Augen und einmal mehr wurde mir bewusst, dass zwei Seelen in der Brust der Kollegin wohnten und dass sie es perfekt verstand, stets die Fassade der gut gelaunten Mitarbeiterin nach außen zu kehren. Obwohl es in ihr selber ganz anders aussah, ganz anders… Irgendjemand, ich weiß nicht mehr wer, macht ihr schließlich den Vorschlag sich in einer Singlebörse zuregistrieren. Ich kann mich noch gut an den im ersten Moment skeptischen Gesichtsausdruck von Martina erinnern, aber dann lachte sie und meinte: „Warum eigentlich nicht?“

Eine Woche später präsentierte sie uns ihren Auftritt in dem Portal. Ein schönes Foto von Martina, in dem ihr ganzes Temperament zum Ausdruck kam, stach als gut gewählter Blickfang ins Auge und kein Wunder, dass sich schnell ein paar interessierte Herren bei ihr meldeten. Leider nicht nur Singles, wie die Kollegin durchaus amüsiert zu berichten wusste sondern auch Typen, die schnelle Sexabenteuer suchten oder einfach nur Abwechslung vom eigenen Beziehungsalltag. Martina traf sich mit den meisten und war danach dann oft um eine Erfahrung reicher. Bisweilen lachten wir schallend, wenn sie mir nach einem abwechslungsreichen Wochenende wieder einen Bericht über ein Treffen mailte oder selber vorbeikam um zu erzählen. Singleportale hin oder her, die Spreu musste trotzdem erst einmal vom Weizen getrennt werden, ob man nun im wahren Leben jemand kennen lernte oder eben über das Web.

Der eine oder andere Freund für nette Gelegenheiten hatte sich trotzdem dabei schon herauskristallisiert und gerade deshalb war Martina grundsätzlich recht zufrieden mit ihrer bisherigen Ausbeute. An einem Morgen kam die Kollegin aber fast mit verwirrtem Gesichtsausdruck in die Cafeteria in die Firma und setzte sich zu mir. „Jetzt muss ich dir was Witziges erzählen!“ wandte sie sich mit leicht in sich gekehrtem Gesichtsausdruck an mich. „Ich habe ja, seit ich in diesem Portal bin jede Menge Männer kennen gelernt. Aber stell dir vor, gestern Abend im Schachclub kommt einer auf mich zu, den ich schon länger kenne. Stefan heißt er. Ich habe auch schon die eine oder andere Partie mit ihm gespielt, aber ich hatte bisher nicht näher mit ihm zu tun.“ Martin hob ihre Stimme. „Du, der hat mich im Singleportal gesehen und mir neulich schon einmal geschrieben, ich war nur noch nicht dazugekommen, ihm zu antworten. So ein Zufall! Ich sehe den Mann seit Jahr und Tag jede Woche fast und über das Internet kommen wir das erste Mal richtig ins Gespräch!“

Ich musste lächeln, als ich Martina so musterte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Kollegin schon etwas Feuer gefangen hatte. Kein Wunder, in diesem Fall spielten wohl die gemeinsamen Interessen eine wichtige Rolle – also beste Voraussetzungen sich näher zu kommen. Ich sollte mich nicht irren. Der gemeinsame Abend, der bei einem Essen beim Mexikaner begann, ging über in eine feuchtfröhliche Nacht, die schließlich in seinem Schlafzimmer in eine leidenschaftliche, zwischenmenschliche Begegnung auf engstem Raum mündete… Martina blieb schließlich das ganze Wochenende, bei dem man sich menschlich und körperlich sehr, sehr nahe kam. Und man sich verliebte… Nach einer Probezeit von zwei oder drei Monaten zog Martina mit Stefan in eine gemeinsame Wohnung. Rätselhaft blieb für mich trotzdem, dass die beiden erst über Martinas Internetauftritt zusammengekommen waren, obwohl doch durch den Schachclub jede Menge Gelegenheiten gegeben gewesen wären, ins Gespräch zu kommen. Aber wenn ich ehrlich bin: ich vermute, Martina war in dem Club einfach zu beschäftigt mit ihren Schachpartien gewesen und hatte im Grunde gar nicht erwartet, hier eine große Liebe zu finden…

Nach wahren Motiven!

© Vivienne

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