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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

09.04.2005, © Vivienne

Die Frau für’s Grobe…

Marion putzte ihre Brillen.
Setze sie wieder auf.
Winkte der Servierkraft.
Eine Tasse Kräutertee bitte.
Und einmal Sachertorte…
Marion schwieg beschämt.
Sie dachte an die Kalorien.
An die herrliche Schokolade.
An den Schlag.
Sie würde nicht dünner werden damit.
Ganz bestimmt nicht.
Sie blickte auf ihr schlabbriges T-Shirt.
Und die knapp sitzenden Jeans.
Aber das war jetzt auch schon egal.
Wer liebte sie schon?
Niemand.
Letztlich auch nicht Sven.
Nein.
Sven genau so wenig.
Und jetzt wusste sie das auch…
Marion schluckte.
Tränen standen in ihren Augen…

Marion erinnerte sich.
Ostersonntag vor zwei Monaten.
Als Sven auf sie zugekommen war.
Nach der Osterfeier des Gesangsvereines.
Marion.
Hast du nicht Lust mit uns mal ins Kino zu gehen?
Marion hätte sich vor Schreck fast verschluckt.
Sie?
Ins Kino?
Mit Sven und ein paar Freunden?
Marion vergaß die Linzer Schnitten auf dem Teller.
Du meinst wirklich mich?
Sven hatte sie angegrinst.
Siehst du sonst noch jemanden?
Hey Mädel.
Ich meine dich.
Dienstagabend?
Im Cineplex?
Ich hol dich um 19:30 Uhr.
Okay?
Marions Herz schlug bis zum Hals.
Das war kein Scherz.
Das war echt.
Sie nickte.
Mit trockenen Lippen.
Die sie vergeblich mit der Zunge zu befeuchten versuchte.
Aber ja doch.
Gern.

Kein Scherz.
Kurz vor 19:30 Uhr stand Sven vor ihrer Wohnungstür.
Lächelte charmant.
Marions Puls raste.
Tausend Gedanken im Kopf.
Seh’ ich auch gut aus?
Sitzt der Blazer?
Der Film war nebensächlich.
Er interessierte sie nicht im Geringsten.
Er war auch nicht echt.
Real war nur eines.
Sven neben ihr.
Der irgendwann seinen Arm um sie legte.
Und ihr ab und an Unfug ins Ohr flüsterte.
Bei seinen Brührungen fühlte sie Schmetterlinge im Bauch.
Nach dem Film noch ein Getränk im Irish Pub.
Und dann brachte Sven Marion nach Hause.
Sven zwinkerte ihr zum Abschied zu.
Und Marion lag die halbe Nacht wach.
Träumte mit offenen Augen von Sven.
Sechsundzwanzig Jahre war sie alt geworden.
Ohne Mann.
Ohne Liebe.
Und nun so unerwartet eine Antwort auf all ihre Gebete.
Nicht irgendwer.
Sven.
Im Gesangsverein Bass.
Und endlich jemand der nicht nach einer Frau mit Gardemaßen suchte…

Marions Lebens äderte sich rasant.
Sie nahm fast fünf Kilo in zwei Wochen ab.
Weil Kuchen und Torten plötzlich nicht mehr so verlockend waren.
Weil ihr der Appetit einfach verging wenn sie von Sven träumte.
Sven.
Der ihr sogar seine Homepage anvertraute.
Kann ich mich da auf dich verlassen?
Einmal wöchentlich die neuesten Termine.
Und ein Kommentar zum aktuellen Geschehen.
Das ist ganz wichtig.
Marion nickte.
Du kannst dich verlassen auf mich.
Mit der EDV kannte sie sich aus.
Da machte ihr keiner so schnell was vor.
Marion war stolz.
Und unsagbar glücklich.
Auch als ihre Schwester Gerda die Brauen hoch zog.
Du triffst dich jetzt regelmäßig mit diesem Chauvie?
Das kann doch nicht dein Ernst sein!
Und du bist verliebt!
Mein Gott!
Hat er dich überhaupt schon geküsst?
Das traf.
Geküsst hatte er sie wirklich noch nicht.
Zumindest nicht richtig.
Nur kurz auf den Mund.
Und ohne Zunge.
Aber warum traf er sich sonst mit ihr?
Und warum war er immer so nett und liebevoll?
Es konnte doch nur einen Grund dafür geben…

Marion blickte auf die Uhr.
Spät war es wieder geworden.
Die Arbeit für Svens Homepage fraß viel Zeit.
Auf der Straße fiel ihr ein:
Ihr Schirm musste noch im Cafè stehen.
Dort, wo sie gestern noch so lange mit Sven gesessen war.
Sie trat ein.
Sven saß auf einem Tisch weiter vorn.
Drehte ihr den Rücken zu.
Und telefonierte lautstark über das Handy.
So eine Überraschung!
Marion schmunzelte.
Mal sehen.
Sie trat näher.
Sven bemerkte sie nicht.
Er stritt scheinbar mit jemandem.
Lautstark.
… hört auf mit dem Unsinn!
Ich stehe nicht auf sie!
Die ist doch fett!
Ich bin nur nett zu Marion weil ich sie brauche.
Sie betreut meine Homepage.
Kostenlos.
Und ich habe mehr Zeit für andere Dinge…
Deine Eifersucht macht mich krank.
Hörst du?
Du gehst mir auf dem Geist damit!

Marion erstarrte.
Schüttelte immer wieder den Kopf.
Nein.
Das hatte sie nicht hören wollen.
Nicht das.
Ihr wurde heiß und kalt gleichzeitig.
Dann trat sie näher an Sven heran.
Der weiter stritt.
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter.
Sven fuhr herum.
Marion schlug ihm ins Gesicht.
Mit aller Kraft.
Du brauchst jemand anderen für deine Homepage.
Um Svens Reaktion kümmerte sie sich nicht mehr.
Sie lief aus dem Cafè.
Ohne sich umzudrehen.
Ohne Schirm.
Zwei Straßen weiter war die Konditorei noch geöffnet.
Die Serviererin brachte ihr den Tee und die Torte.
Marion wischte sich die Tränen weg.
Besser als weinen.
Alle mal…

Vivienne
 

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