Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  März 2005


Grüner wird’s nicht!

Alice bremste vor dem Zebrastreifen.
Ein Kind mit Schultasche überquerte langsam die Straße.
Ohne Anzeichen von Eile.
Alice atmete genervt und laut vernehmlich aus.
Sie musterte ihren Vater.
Er war ein paar Tage zu Besuch in der Stadt gewesen.
Nun brachte sie ihn wieder zum Bahnhof.
Alice’ Vater blickte dem Kind nach.
Er grinste fröhlich.
Alice schüttelte den Kopf.
Was daran wohl wieder komisch war!
Alte Menschen waren wohl nun mal so.
Sie stieg auf’s Gas.
Gerne hätte sie das Radio angedreht.
Aber ihr Vater hasste moderne Musik.
Kein Wort hätte er deswegen verloren…
Nicht ein Einziges.
Aber sie hätte seinen Ärger genau gespürt.
Was tut man nicht alles um des Friedens Willen!

Unwillkürlich musste sie an Sebastian denken.
Ihren Gelegenheitsfreund.
Zusammenleben wollte er nämlich mit ihr nicht.
Noch nicht.
Wie er immer wieder betonte.
Seit bald eineinhalb Jahren.
Frauen engen mich ein.
Sie klammern.
Schrecklich.
Sie nehmen mir meine Freiräume.
Ich habe mich wie in einem Gefängnis gefühlt.
Immer wieder.
Vor allem in meiner letzten Beziehung.
Versteh’ das…
Ich brauche Zeit.
Aber ich liebe dich!
Konnte man diesem Lächeln widerstehen?
Nein.
Zumindest hatte sie keinen Zweifel darüber gehabt.
Damals.
Nachdem er sie zu seiner Geliebten gemach hatte.

Ja.
Zu seiner Geliebten.
Zu nichts anderem.
Alice erinnerte sich.
Einmal tauchte er mitten in der Nacht auf.
Unangemeldet.
Unrasiert.
Wie selbstverständlich.
Später am Tag hatte er ihr ein tolles Menü hingezaubert.
Vier Gänge.
Nur mit den Sachen, die im Kühlschrank waren.
Eine Kerze brannte am Tisch.
Im Wohnzimmer Dämmerlicht.
Nur für sie beide…
Am nächsten Morgen war er schon wieder weg gewesen.
Ohne ein Wort.
Oder zumindest eine Notiz.
Erst Wochen später hatte er sich wieder gerührt…

Hab ich auch meine Hausschuhe eingepackt?
Die ruhige Stimme des Vaters schob sich vor Alice Gedanken.
Einen Moment musste sie nachdenken.
Die sind ganz sicher in der Reisetasche.
Ich selber habe sie reingegeben.
Der alte Mann nickte.
Er nahm seine Brille kurz ab.
Putzte sie.
Alice konzentrierte sich auf den Straßenverkehr.
Für Sonntagvormittag waren relativ viele Autos unterwegs.
Wohl Ausflügler…
Sie tauchte wieder in ihre Gedankenwelt ein.
Sebastian wollte also nicht mit ihr zusammenziehen.
Nein.
Obwohl sie sich alle Mühe gegeben hatte.
Seine Launen hinnahm.
Man durfte sie eigentlich durchaus Allüren nennen.
Nur um keine Zicke zu sein.
Oder ihn einzuengen.
Sie fragte ihn auch nie, wo er sonst noch war.
Aber sie sich selbst.
Ob es noch eine andere gab?
Oder mehrere?
Nein.
Sie wusste es nicht.
Nicht mit Bestimmtheit.
Und Basti wusste es zu verbergen…

Alice stoppte den Wagen abrupt.
Beinahe hätte sie diese Kreuzung übersehen.
Sie blickte aus dem Fenster.
So ein schöner Tag heute!
Kein Wunder, dass so viele Leute unterwegs waren…
Grüner wird’s nicht…
Alice Vater lachte sie fröhlich an.
Sie stieg erschrocken auf’s Gas.
Ruckartig schoss der Wagen vorwärts.
Sie bog gerade noch rechtzeitig links ab.
Grüner wird’s nicht.
Alice schüttelte den Kopf.
Wirklich.
So lange schon hatte sie Sebastian „Freie Fahrt“ signalisiert.
„Freie Fahrt“ in ihr Leben.
Man konnte es durchaus so nennen.
Aber er dachte nicht daran zu ihr zu ziehen.
Oder sie zu ihm zu holen.
Die Gegebenheiten waren bequem für ihn.
Sehr bequem.
Warum sollte er etwas ändern an diesem Zustand?
Ihm genügte es.
Aber ihr nicht.

Grünes Licht für ihn.
Aber er ignorierte es…

Okay.
Grüner wurde es nicht.
Jetzt oder nie.
Also würde sie weiterfahren.
In ihrem Leben.
Aber eben ohne ihn.
Er war ja nicht der einzige Mann.
Gott sei Dank.
Sie lächelte ihrem Vater zu.
Er nickte verschmitzt.
Weiter vorn war schon der Bahnhof zu sehen.
Sie ordnete sich mit dem Auto auf dem Fahrstreifen ein.
Die Ampel blinkte grün…

Vivienne

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