Tod – Lit-Split

Die Augen verrieten es mir.
„Wir fahren zu Tante Iris. Es geht ihr nicht gut. Sie hat nach uns gefragt und Schwester Beate hat noch vorhin angerufen.“
Sie nickte, ihr lag Tante Iris sehr am Herzen. Dass Beate mir im Vertrauen gesagt hatte, dass es mit der Tante wohl bald zuende ging lies ich dabei im Dunklen.
„Toll,Vati, mach dass die Tante wieder schnell gesund wird. Sie hat immer so tolle Geschichten auf Lager. Ich hab mich dabei immer kaputt gelacht.“

Melanie hatte ein rotes Gesicht was verriet, dass sie sich auf die Fahrt zur Tante freute.
„Melanie, Liebes, wenn ich könnte würde ich die ganze Welt gesund machen. Bloß, das kann niemand auf der ganzen Welt, auch ich nicht.“
Melanie glühte beinahe immer vor Begeisterung. Nun aber war dieser Reflex wohl besonders ausgeprägt.

„Papi, du machst doch sonst immer alle wieder gesund, du als Doktor.“
„Tja mein Schatz, aber bei der Tante haben selbst die besten Fachärzte keinen wirklichen Fortschritt erzielt. Und ich bin ja auch nur Kieferchirurg. Zu mir kommen nicht allzuviele Schwerstkranke.“
Melanie, mit ihren auch schon sechs Jahren, wollte das wohl nicht so stehen lassen.

„Papi, du hast mir doch in deinen Büchern immer diese Krankheiten gezeigt und alles erklärt. Du bist viel besser als diese anderen Doktoren.“
„Liebes, wir Beiden sollten doch noch einmal in den Büchern blättern, die du dir einfach ohne zu fragen aus dem Bücherschrank gemoppst hast.“
Nicht ohne Schadenfreude konnte ich Melanies schamhaftes Augenniederschlagen als Erfolg verbuchen. Ja die Kleine hatte sich diese sehr verstörenden Bilder mit größtem Interesse angesehen. Dass sie dann ziemlich komplizierte Fragen stellte, hatte ihre heimliche Neugierde schließlich ans Tageslicht gebracht.
Das war an diesem denkwürdigen Sonntagmorgen, als mich Beate anrief. Sie arbeitete auf der Station in der Iris nun schon seit ihrem Sechzigsten untergebracht wurde, als ihre behandelnden Ärzte jede Hoffnung auf Gesundung aufgegeben hatten. Das was zunächst auf mich den Eindruck einer Selektion machte, konnte mich nicht wirklich mit den Kollegen versöhnen. Mensch, gerade Iris, die Lebenslustige, nach drei Ehen schließlich zum vierten mal verehelicht, hatte ihre drei Gatten schon überlebt als ich mit meiner Brigitte auf die Fünfundzwanzig zusteuerte.

Dabei war Iris mal eben zwanzig Jahre älter als ich. Und hatte auf mich, den kleinen Bruder, verdammt viel Eindruck gemacht. Und nun soll auf einmal alles zuende gehen?

Tod

Verfluchte Tat, da liegste mit einem ausgewachsenen Krebs auf dem Arsch und wartest nur noch auf den Tod.
Beate kommt mit der geleerten Pisstüte und stöpselt den Dauerkateter an.
Ich kann beinahe nichts mehr essen und trinken, sollte daher auf diesen Blasenabfluss bald verzichten können.

Ich hatte Beate gebeten, sie ist ja ein Schatz, meinen Bruder anzurufen. Ich möchte doch so gerne noch einmal mit Melanie sprechen. Das Kind ist so aufgeweckt. Aber ich glaub, die dürfen nicht auf die Intensiv.
Wie gerne würde ich jetzt eine durchziehen. Wenn Melanie kommt werde ich ihr verbieten an Zigaretten auch nur zu denken. Dieses Teufelszeug muss bekämpft werden. Mit allen Mitteln! Am besten verbrennen den ganzen Scheiß. Hab dann wohl schon immer alles richtig gemacht. Alles dem Feuertod übereignet.
Nein, aber verbrennen lass ich mich trotzdem nicht. Da seien die Filterlosen vor.

Kleine Melanie, du weisst ja jetzt, dass das Rauchen eine ganz üble Angewohnheit ist, und ich darf dir nun das böse Beispiel dafür sein.
Ja, wie bin ich eigentlich dazu gekommen? Lag es daran, dass unsere Eltern rauchten? Habe ich Robert, meinen kleinen Bruder dazu angestiftet?
Hab ja bemerkt, dass er immer Zigaretten aus Papi’s Schachtel klaute, morgens nach dem Frühstück. Hatte ich ja auch immer. Da gab es noch zwölf Stück für ne Mark.

Wie kam es eigentlich, dass meine drei ersten Ehemänner gar nicht geraucht haben?
Gibt es für Nichtraucher keinen Bonus fürs Überleben? Hab ich es mir durch den Griff zur Fluppe selber versaut?
Sollte Melanie mit Robert noch einmal zu mir gelassen werden, wird die Kleine wohl ihrer haarlosen Tante nochmal die Hand drücken und das Elend des schweren Tod verstehen lernen.

Ich werde nicht damit aufhören die Kleine vom Rauchen abzuhalten. Aber, was denke ich mir eigentlich, sie ist doch erst sechs?

Doch, man kann garnicht früh genug die Jugend vor dieser Gehirnwäsche warnen. Zigaretten als Ausdruck von Kultur und Erwachsensein? Blödsinn!

Nun auf einmal die Freigabe von Canabis und Haschisch? Die Ärzte hatten mir die Wahl gelassen. Das Gefühl von Wärme half mir dabei, meine Schmerzen zu vergessen.
Das Kind muss mich einmal noch sehen, in meiner Pein. Dann ist schon sehr viel damit gewonnen. So ist zu hoffen.

Aber Canabis? Daran könnte ich mich glatt gewöhnen!

Tod

„Musst nicht traurig sein, meine Süße, Tante Iris ist nun an einem anderen und viel besseren Ort!“
Wie soll ich das verstehen, Mama? Tante Iris ist tot. Ich weiss doch was totsein bedeutet. Warum macht ihr für mich so ein Theater?

Nur weil ich ein Mädchen und für die Großen noch ein Kind bin braucht ihr doch nicht so zu tun, als wenn ich blind und taub und ein bisschen meschugge bin.
Ja, der Tante ging es nicht gut. Irgendwas mit Krebs, genaues weiss ich nicht. Beim letzten Besuch mit Mutti im Krankenhaus hat sie nur gehustet. Sie konnte dabei gar keine Witze machen, was mir sonst immer so viel Spaß gemacht hat.
„An dir, Iris, ist wohl eine Comedien verloren gegangen. Du solltest endlich mal auf einer Bühne auftreten!“
So Vati, als sich beide eine Kippe ins Gesicht geschoben hatten. So hatte Mutti gelästert, weil Papi und seine Schwester Iris wohl schon als Kettenraucher auf die Welt gekommen sind.

„Du Brigitte, bist ja mit nem Silberlöffel im Mund geboren worden, Iris und ich nur mit ner Filterlosen!“
Papi hat dann immer gelacht wenn Mutti ihn ganz böse angeblickt hatte.
Ihr fiel dann nie viel ein und Tante Iris machte sofort einen ihrer Witze.

Einer ging so, Kommen zwei Zigarren zur Beerdigung einer Friedenspfeife, fragt die eine den Pastor: „Haben Sie eine Ahnung wo die Seele einer Friedenspfeiffe nach dem Tod hingeht?“ Der Pastor schaut ganz irritiert und muss dann resignierend den Kopf schütteln.
„ No? … Zu ihrem Freund natürlich, dem Lungenkrebs!“

Papi hat dann gelacht und Tante Iris eine Fluppe gereicht. Beide sagten immer Fluppe, wenn eine Zigarette gemeint war.
„Melanie, tu mir den Gefallen und fang bitte nicht mit dem Rauchen an. Das ist eine ganz blöde Angewohnheit die nur Geld kostet und krank macht!“

Ich hatte die Tante nur angeschaut und überlegt, was sie mir erzählen wollte. Ich bin doch garnicht mit ner Filterlosen im Mund geboren worden, wenn das stimmt was Mutti mir erzählte.

Nun ist die Tante tot und Papi hat bei der Beerdigung ganz traurig gekuckt und als der Sarg runtergelassen wurde gesagt: „Mach es gut, Schwesterchen, und bestell deinem Freund nen schönen Gruß!“
Auch da hat Mutti ganz böse geschaut, und ich hab den Witz erst garnicht verstanden.

© chefschlumpf

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